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1 - Wächter der Nacht

1 - Wächter der Nacht

Titel: 1 - Wächter der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sergej Lukianenko
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jemand dich mit einer Kraft hasst, wie sie nur selten bei einem Menschen auftritt. Oder bei einem Anderen.
    »Vielleicht solltest du einmal ausspannen«, brachte ich vor. »Irgendwohin fahren … in irgendein Nest …«
    Noch während ich sprach, ging mir plötzlich auf, dass es eine Lösung für das Problem gab. Zwar eine unzureichende, eine, die für Swetlana selbst immer noch den Tod bedeuten würde. Irgendein Nest. Die Taiga, Tundra, der Nordpol. Dann würde der Vulkan dort ausbrechen, der Asteroid dort niedergehen, der Marschflugkörper mit dem Nuklearsprengkopf dort einschlagen. Das Inferno würde sich nicht verhindern lassen, aber nur Swetlana würde darunter leiden.
    Bloß gut, dass eine solche Lösung für uns ebenso wenig in Frage kommt wie der vom Dunklen Magier vorgeschlagene Mord.
    »Woran denkst du, Anton?«
    »Sweta, etwas bedrückt dich doch?«
    Anton, das ist zu heftig. Such ein anderes Thema, Anton!
    »Merkt man das etwa?«
    »Ja.«
    Swetlana senkte den Blick. Ich machte mich schon auf Olgas Geschrei gefasst, dass der schwarze Wirbel zu seinem letzten, katastrophalen Wachstumsschub ansetze, dass ich alles verdorben, alles kaputtgemacht hätte und von nun an das Leben von Tausenden von Menschen auf meinem Gewissen laste. Doch Olga schwieg.
    »Ich bin eine Verräterin.«
    »Was?«
    »Ich habe meine Mutter verraten.«
    Sie sah ernst aus, ohne jenen widerlichen Anstrich eines Menschen, der eine Schweinerei begangen hat und sich auch noch damit brüstet.
    »Das verstehe ich nicht, Sweta …«
    »Meine Mutter ist krank, Anton. Die Nieren. Sie muss regelmäßig zur Dialyse … aber das ist nichts Halbes, nichts Ganzes. Deshalb … hat man mir vorgeschlagen … eine Transplantation zu machen.«
    »Warum dir?« Ich verstand sie immer noch nicht.
    »Man hat mir vorgeschlagen, eine Niere zu spenden. Meiner Mutter. Vermutlich würde die Niere angenommen, ich habe mich sogar schon untersuchen lassen … Doch ich habe mich geweigert. Ich … Ich habe Angst.«
    Ich schwieg. Jetzt lagen die Karten auf dem Tisch. Irgendetwas hatte funktioniert, irgendwie gab es in mir etwas, das Swetlana veranlasste, mir gegenüber völlig offen zu sein. Ihre Mutter.
    Eine Mutter!
    Anton, du bist fabelhaft. Unsere Leute sind schon unterwegs. Olgas Stimme jubilierte. Wie auch nicht – wir hatten die Dunkle Magierin gefunden! Komisch … Beim ersten Kontakt hat niemand etwas gespürt, alle hielten sie für eine taube Nuss … Fabelhaft. Beruhige sie, Anton, rede mit ihr, tröste sie …
    Im Zwielicht kann man die Ohren nicht verschließen. Du hörst alles, was man dir sagt.
    »Swetlana, niemand hat das Recht, so etwas von dir zu verlangen …«
    »Nein. Natürlich nicht. Ich habe meiner Mutter davon erzählt … und sie hat mir befohlen, das Ganze zu vergessen. Sie hat gesagt, dass sie sich etwas antun würde, wenn ich mich dazu entschlösse. Dass sie … sowieso sterben würde. Da brauchte ich mich nicht verstümmeln lassen. Gar nichts hätte ich sagen sollen. Sondern ihr einfach meine Niere spenden. Später, nach der Operation, hätte sie ja alles erfahren können.
    Mit einer Niere hätte ich sogar noch Kinder kriegen können …
    Solche Fälle gab es bereits.«
    Die Nieren. Wie lächerlich! Was für eine Kleinigkeit! Eine Stunde Arbeit für einen echten weißen Magier. Doch wir dürfen nicht behandeln, für jede echte Heilung wird einem Dunklen Magier ein Fluch, ein böser Blick vergeben. Und dann die Mutter, die eigene Mutter, die unwissend, den Bruchteil einer Sekunde von ihren Gefühlen mitgerissen, laut das eine sagt, die ihrer Tochter sogar verbietet, an eine Operation auch nur zu denken – und sie innerlich verflucht.
    Und der monströse schwarze Wirbel schwillt an.
    »Ich weiß schon nicht mehr, was ich mache, Anton. Ich stelle lauter Unsinn an. Heute wäre ich beinah mit einem Unbekannten ins Bett gesprungen.« Swetlana hatte sich also dazu durchgerungen, auch das zu erwähnen, obwohl es sie vermutlich genauso viel Überwindung kostete, wie von ihrer Mutter zu erzählen.
    »Sweta, uns wird schon etwas einfallen«, begann ich. »Das Wichtigste ist jetzt, nicht die Segel zu streichen und sich unnütz selbst zu bestrafen …«
    »Aber ich habe ihr mit Absicht davon erzählt, Anton! Ich wusste, wie sie reagieren würde! Ich wollte, dass sie es mir verbietet! Sie müsste mich verfluchen, mich verdammte Idiotin!«
    Swetlana, du hast ja keine Ahnung, wie sehr du Recht hast … Niemand weiß, welche Mechanismen hier wirken, was

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