10 - Das Kloster Der Toten Seelen
ihren Durst. Dort machten sie auch Rast und ließen die Pferde eine Weile trinken und auf der feuchten Wiese grasen, die die Quelle umgab. Dann ritten sie weiter nach Westen, mit der aufsteigenden Sonne in ihrem Rücken.
Bald wurde der Wald lichter, bis sie sich in einem gewundenen Tal wiederfanden, durch das ein kleiner Bach rauschte. Auf Fidelmas Vorschlag hin liefen die Pferde durch das seichte Wasser, so hinterließen sie keine Spuren.
Nach einer Weile verloren sich die Bäume und damit ihr Schutz, und vor ihnen breitete sich eine sumpfige Ebene aus. Sie hörten das klagende Gekreisch der Möwen. Die Luft roch salzig.
»Das Meer kann nicht mehr weit sein«, bemerkte Eadulf unnötigerweise.
»Dann müssen wir uns nun nach Norden wenden«, erwiderte Fidelma. »Ich kann ein paar Gebäude erkennen …«
»Vielleicht bekommen wir dort etwas Richtiges zu essen.«
Kläglich schaute Fidelma nun ihren Gefährten an. »Ich gestehe, hätte ich die Wahl zwischen Hunger oder noch einmal Judasohr, ich würde es vorziehen zu verhungern.«
Sie ritten zu einem felsigen, höher gelegenen Gelände, das nach Westen hin abfiel. Nun erblickten sie eine breite Bucht mit einem Sandstrand, der etwas entfernt von grobem Kies abgelöst wurde. Dahinter ergoß sich aus dem Landesinneren ein Fluß ins Meer. Um den Fluß zu umgehen, mußten sie ein Stück zurückreiten; zu einer Seite ragte eine Felswand auf, zur anderen erstreckte sich sumpfiges Marschland.
Es stellte sich heraus, daß die Gebäude, die sie gesehen hatten, zu einem Weiler gehörten, hinter dem sich ein kleiner Berg erhob. Fidelma bemerkte nicht weit entfernt mehrere alte Steine, die einen Steinkreis bildeten. Aus Hütten vor ihnen stieg Rauch auf, also waren dort Menschen.
Eadulf seufzte erleichtert. »Zivilisation und Nahrung.«
»Wir wollen erst einmal herausfinden, wo wir überhaupt sind.«
Als sie sich der Ortschaft näherten, fiel Fidelma auf, daß sie nicht einmal groß genug war, um Weiler genannt zu werden. Es gab nur eine Schmiede samt Nebengebäuden und ein Haus, das wie jene Art Herberge aussah, wie man sie auch in ihrer Heimat fand. Gewöhnlich kamen da die Leute zusammen, um zu trinken, zu essen oder auch zu übernachten.
Sie entdeckten einen alten Mann mit einem großen Holzbündel auf dem Rücken.
Eadulf beschloß, seine Sprachkenntnisse anzuwenden.
» Shw mae! Pa un yw’ r ff ort i …? «
Der Alte starrte ihn mit weit aufgerissenen Augen an. »Angelsachse?«
»Ja, ich bin ein Angelsachse«, gab Eadulf zu.
Zu ihrer Überraschung ließ der Alte sein Bündel fallen und rannte, mit hoher Stimme laut rufend, auf die Hütten zu.
»Wie es aussieht, mögen sie in diesem Teil der Welt keine Angelsachsen«, stellte Fidelma fest.
Ehe Eadulf etwas darauf entgegnen konnte, hatte sich Fidelma schon entschlossen an die Fersen des Alten geheftet. Dieser war inzwischen stehengeblieben und winkte, immer noch laut rufend, alle anderen Bewohner des Weilers herbei. Ein Mann mit breiten Schultern, wahrscheinlich der Schmied, und ein paar andere Männer hatten nach verschiedenen Gerätschaften gegriffen, die ihnen offenbar als Waffen dienen sollten, und beobachteten mit wachsamen Augen, wie sich die Fremden näherten.
»Was wollt ihr hier?« rief der breitschultrige Mann ihnen zu.
Fidelma blieb stehen, Eadulf hatte sie inzwischen eingeholt. » Pax vobiscum , meine Brüder. Ich bin Schwester Fidelma von Cashel.«
»Eine Gwyddel?« Der Schmied zog die Augenbrauen hoch. »Der Alte meinte, ihr seid Angelsachsen, die uns ausrauben und umbringen wollen.«
Fidelma lächelte beruhigend und ließ sich von ihrem Pferd hinabgleiten. Sie gab Eadulf ein Zeichen, es ihr gleichzutun. »Mein Begleiter ist ein Angelsachse. Bruder Eadulf. Wir sind weder hier, um euch auszurauben, noch um euch zu töten. Wir sind Christen.«
Die Anspannung unter den Männern schwand bis zu einem gewissen Grad, doch der Schmied betrachtete sie weiterhin mißtrauisch.
»Es ist ungewöhnlich, daß ein angelsächsischer Mönch in unserem Land auf Reisen ist. Angelsachsen treten hier meist in Räuberbanden auf, wie wir an dieser Küste sehr zu unserem Leidwesen erfahren mußten. Viele unserer Verwandten haben bei solchen Überfällen ihr Leben verloren.«
»Wir haben keine bösen Absichten. Wir suchen einen Ort namens Llanferran.«
»Und was noch?«
Fidelma war einen Augenblick verwirrt. »Wir brauchen auch etwas zu essen und Futter für unsere Pferde, die sehr erschöpft sind. Wenn du uns
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