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10 - Der Ölprinz

10 - Der Ölprinz

Titel: 10 - Der Ölprinz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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antwortete Poller lachend.
    „Oho! Dieser Kragen ist Herrn Rollins Eigentum; er kann ihn also da tragen, wo es ihm beliebt, sogar am Rock!“
    „Es ist ja gar kein Kragen, sondern ein Portefeuille für Wertsachen!“
    „So? Und wo pflegt man denn so ein Ding hinzustecken?“
    „In die Tasche.“
    „Gut, so stecken Sie es ihm in die Rocktasche.“
    „Diesen Gefallen will ich Ihnen sehr gern erweisen.“
    Er nahm dem Ölprinzen den ausgeplünderten Kragen aus der Hand und schob ihn dem Bankier in die erwähnte Tasche.
    „Auch das Papier mit!“ befahl der Kantor.
    „Nein, das werde ich freilich nicht tun. Dieses Papier gehört Mr. Grinley; er wird es also behalten.“
    „Es gehört ihm nicht. Sie haben mir ja vorhin gesagt, daß Sie es bei den Navajos freiwillig herausgegeben haben!“
    „Ja. Und nun nehmen wir es ebenso freiwillig wieder.“
    „Da sind Sie doch Spitzbuben!“
    „Ja, das sind wir allerdings, Herr Kantor.“
    „Bitte, Herr Kantor emeritus. Es ist das eine ganz notwendige Bezeichnung, auf welcher ich bestehen muß. Sie wollen das Papier also wirklich entwenden?“
    „Ja.“
    „Dann sind Sie gar nicht wert, daß ein Jünger der Kunst, wie ich bin, noch ein Wort mit Ihnen spricht. Machen Sie also, daß Sie fortkommen!“
    „Diesen Wunsch werden wir Ihnen sogleich erfüllen, mein lieber Herr Kantor emeritus.“
    „So ist's recht! Man muß die Leute nur immer auf die richtige Ausdrucksweise aufmerksam machen, dann merken sie sich's endlich einmal.“
    „Das ist wahr, und ich will nur wünschen, daß Sie für die beiden Gnadenarien und das Duett, welches Sie komponieren wollen, die richtige Ausdrucksweise ebenso finden mögen.“
    „O, was das betrifft, so ist das über allem Zweifel erhaben.“
    „So sind wir alle außer dem Bankier zufriedengestellt. Leben Sie wohl!“
    „Leben Sie wohl, meine Herren!“
    Er machte eine Verbeugung. Die drei Räuber gingen hinaus zu ihren Pferden, stiegen auf und ritten davon, sehr zufrieden mit dem Erfolg dieser letzten halben Stunde.
    Der Kantor setzte sich nun dem Bankier gegenüber und musterte ihn mit sehr zufriedenen Blicken. Es war ja sein Wunsch erfüllt: er war frei und der andre hing an dem Baum.
    Rollins konnte ein solches Verhalten nicht begreifen; es erfüllte ihn mit Wut, und darum schrie er zornig auf ihn ein, indem er ihn in den drohendsten Ausdrücken aufforderte, ihn augenblicklich loszumachen. Dies tat er in englischer Sprache, welche der Kantor leider nicht verstand. Vorher hatte dieser letztere, als er noch am Baum hing, dieselbe Bitte mit ganz demselben Mißerfolg wohl hundertmal ausgesprochen, aber in deutscher Sprache, welche dem Bankier unverständlich war. Dieser hatte geglaubt, der Kantor räsoniere auf Old Shatterhand und die beiden Personen, die ihn angebunden hatten. Es war verboten worden, ihn loszubinden, und darum hatte Rollins nicht angenommen, daß er los wolle; der Emeritus aber hatte geglaubt, der andre wolle ihn nicht aus seiner Lage befreien; daher vorhin sein Ärger über ihn und daher jetzt die Ruhe, mit welcher er das Geschrei anhörte und die Anstrengungen ansah, welche Rollins machte, um vom Baum loszukommen.
    Während dieser alle möglichen englischen Schimpfwörter herwetterte, saß der Komponist ihm gegenüber, um ihn zu studieren, und pfiff dabei eine Melodie durch die Zähne, aus welcher sich eine Gnadenarie entwickeln sollte. Der Bankier schäumte fast vor Wut über sein Gegenüber und verwünschte es tausendmal, daß er sich angeboten hatte, bei ihm zu bleiben. Dann, als sein Grimm den höchsten Grad erreicht hatte, trat auf diese Aufregung eine plötzliche große Abspannung ein. Die Folge derselben war, daß er ruhiger zu überlegen vermochte. Er hatte von seinem Buchhalter Baumgarten einige deutsche Brocken profitiert, und der Kantor hatte sich, wie er wußte, auch einige englische Ausdrücke gemerkt. Sollte es denn nicht möglich sein, auf Grund dieser freilich geringen Kenntnisse zu einer Verständigung zu kommen? Er versuchte es und begann: „Mr. Kantor, to unbind, unbind!“
    „Kantor emeritus, bitte!“ war die Antwort.
    „Unbind, unbind!“
    „Umbinden?“ fragte der Kantor. „Sie wollen etwas umgebunden haben? Was denn?“
    Er wußte nicht, daß unbindso viel wie losbinden bedeutet. So ging es wohl eine Viertelstunde lang zwischen ihnen herüber und hinüber. Erstens verstand der Kantor den Bankier nicht, und zweitens sah er nicht ein, warum derjenige, der ihn am Baum hatte hängen lassen,

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