10 - Geheimagent Lennet und der Spinnenbaron
in die Umgebung.
Dann trafen sich alle zum festlichen Abendessen, zu dem Lionette auch ihren Nachbarn Jules eingeladen hatte, und bei dem sie auch den Mann kennenlernten, den Lennet bereits die »Spinne« nannte, der aber auf den viel eleganteren Namen Baron Neuwasser hörte. Er war angeblich Tourist und stammte aus Belgien.
»Es ist immer wieder ein Vergnügen, hier auf Cresilian zu sein«, bemerkte er und machte ungeschickte Bewegungen mit seinen ungelenken Armen.
»Für Sie vielleicht«, entgegnete Lionette liebenswürdig.
»Joseph«, sie wandte sich zu dem Bauern um, der als Diener verkleidet am Tisch bediente. »Geben Sie bitte Monsieur Theodore noch etwas Wein. Sein Glas ist fast leer.«
»Sind Sie schon öfter in dieser Gegend gewesen, Baron?« erkundigte sich Mrs. Burton und strengte sich an, vornehm zu wirken.
»Ich, Madame? Oh, ich bin viel unterwegs. Ich reise immer nur mit der L.A.D.S. Aber ich sehe, daß Monsieur diesen feinen Fasan fotografiert. Sind sie Fotograf, Monsieur?«
»Yes!«
»Darf ich Ihnen die Hand drücken. Ich auch, Monsieur, ich auch. Darf ich einen Blick auf Ihren Apparat werfen?
Aha, eine Minox. Hübsches kleines Ding. Ich bleibe aber der Leica treu.«
Die Unterhaltung wurde technisch zwischen den beiden Männern. Lionette gab sich Mühe, zu Teddy freundlich zu sein.
»Teddy – Sie erlauben doch, daß ich Sie mit Ihrem Vornamen anrede -, Sie müssen mir noch vom Rodeo erzählen. Sind Sie schon mal auf einem Büffel geritten?«
»Ja.«
»Gefällt Ihnen das denn?«
»Nicht so sehr. Es ist nicht sehr bequem.«
»Ich würde gern auf Westernmanier reiten lernen. Wenn Sie wieder einmal nach Cresilian kommen, müssen Sie es mir beibringen.«
»Ich werde mein möglichstes tun.«
»Sie sind nicht sicher, daß es Ihnen gelingt?«
»Nein, ich bin nicht sicher, ob Sie es schaffen.« Teddy war an diesem Abend ähnlich einsilbig wie sein Vater sonst immer.
Mrs. Burton kommentierte ständig die Ausführungen ihres Mannes und beschwor ihn, weniger zu essen.
»Yes«, sagte Mister Burton und nahm sich zum drittenmal von der Pastete.
Jules kümmerte sich um Jenny, und Lennet aß, sah und hörte zu. Irgend etwas schien hier versteckt zu sein. Aber es gelang Lennet weder das Versteck noch das Versteckte zu erkennen.
Nach dem Essen, als sie im Salon Kaffee tranken, flüsterte Jules dem belgischen Baron etwas ins Ohr, und Teddy verfolgte diese Heimlichkeit sichtlich nervös. Doch bald wandte er sich wieder Lionette zu.
Dies war eine Gelegenheit für den Geheimagenten.
Lennet verließ sich darauf, daß die Burtons durch das Vergnügen, mit der »gesellschaftlichen Elite« Frankreichs zu plaudern, noch eine Weile aufgehalten werden würden und empfahl sich. Er mußte ja noch die Sachen von Mrs. Burton durchsuchen.
Er brauchte einige Zeit für die vielen Koffer der Amerikanerin. Aber er fand rein gar nichts. So blieb nur noch die Handtasche. Vielleicht würde er irgendwann auch an die herankommen.
Nachdenklich ging Lennet auf sein Zimmer, aber eine unerklärliche Unruhe hinderte ihn am Einschlafen. Es war weniger Hellseherei als das unerklärliche Gefühl, daß etwas Bedrohliches in der Luft lag.
Bald darauf hörte er, wie die Burtons in ihre Zimmer gingen. Auf dem Hof erklang Hufgeklapper. Offenbar ritt Jules nach Hause. Fast unhörbare Schritte schlichen den Gang entlang. Vermutlich war dies Baron Neuwasser, die große Spinne.
Türen klappten, es wurde still.
Nach einer Stunde stand Lennet auf und zog sich wieder an. Er mußte sich Gewißheit verschaffen, obgleich er keine Ahnung hatte worüber eigentlich. Er machte die Tür zu seinem Zimmer ein wenig auf und wartete.
Eine halbe Stunde nach Mitternacht knarrte plötzlich eine Tür. Lennet versuchte im finsteren Gang etwas zu erkennen. Eine Gestalt zeichnete sich ab, nur ein Schatten; Nach der Größe zu schließen, mußte es Mister Burton sein, vielleicht auch der Spinnenbaron.
Lennet wartete zehn Sekunden und schlich dann zur Treppe. Sie führte auf der einen Seite zum Speicher, auf der anderen ins Erdgeschoß. Wohin mochte der Unbekannte gegangen sein?
Bumm…!
Unten war die große Tür zugeschlagen. Also war der Unbekannte hinausgegangen. Lennet raste die Treppe hinab. Der Schlüssel steckte im Schloß. Der Geheimagent zog die schwere Tür auf. Aber als er auf der Freitreppe stand, war kein Mensch mehr zu sehen.
Im finsteren Gang war nur eine schattenhafte Gestalt zu erkennen
Draußen leuchtete ein weißer Mond.
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