10 - Geheimagent Lennet und der Spinnenbaron
hinunterfahren, wo er nach rechts abbog.
Ich würde doch gern wissen, was da los ist, dachte Lennet ratlos.
Er lief zur Garage. Jean hatte den Citroen hineingefahren, und Lennet wußte also nicht, wie viele Wagen da waren. Es mußten aber wenigstens der Citroen und der Renault des Barons sein.
Nur der Citroen war da, der Wagen des Barons war weg. »Dann ist der Baron also verschwunden, während ich mit Marietta schwatzte, oder er ist schon früher gegangen, ohne überhaupt zu essen…«
Am vernünftigsten war es wohl, zurückzugehen und auf die Nachtwandler zu warten. Doch zu den Eigentümlichkeiten wirklich begabter Geheimagenten gehörte, daß sie gelegentlich das Vernünftige vergessen und das Unvernünftige tun. Lennet sprang in den Wagen, überzeugte sich, daß noch genügend Benzin darin war und fuhr los, ohne die Scheinwerfer einzuschalten.
Als er auf die Straße kam, bog er nach rechts ab wie vor ihm der andere Wagen. Dann schaltete er die Beleuchtung an und trat das Gaspedal bis zum Anschlag durch.
Die hügelige Landschaft der Normandie eignete sich nur wenig für Verfolgungen dieser Art. Der Chrysler hatte etwa fünf Minuten Vorsprung, und Lennet hatte keine Ahnung, wohin er fuhr. Er konnte sich also nur auf seinen guten Stern verlassen.
Nach etwa zwanzig Minuten und einer Reihe von Abzweigungen, von denen er jeweils auf gut Glück eine wählte, sah er von einem kleinen Hügel aus die Rücklichter eines großen Wagens. Es konnte der Chrysler sein.
Da habe ich wohl Glück gehabt, dachte der junge Offizier. Natürlich, Glück muß man haben. Hätte ich keines gehabt, wäre ich nicht Geheimagent. Oder wenigstens wäre ich es nicht so lange geblieben.
Er hatte keine Möglichkeit, sich zu vergewissern, daß es sich wirklich um den Wagen handelte, der vom Schloß weggefahren war, denn überholen wäre zu riskant gewesen. Womöglich hätten ihn die Fahrzeuginsassen sofort erkannt. So mußte er hinterherfahren, ganz gleich, wohin es ging.
Hin und wieder sah er Straßenschilder. Der Chrysler fuhr in Richtung Cherbourg an die Küste. Als Lennet einige Zeit später das Fenster öffnete, roch er auch bereits das Meer.
Als die ersten Häuser der Hafenstadt auftauchten, versuchte er, den Abstand zwischen den beiden Autos zu verringern. Es wäre zu schade gewesen, wenn er das Fahrzeug jetzt noch aus den Augen verloren hätte.
Sie fuhren durch die schlafende Stadt, offensichtlich zum Hafen. Einmal glaubte Lennet, den anderen Wagen verloren zu haben. Doch dann bemerkte er plötzlich, daß er an ihm vorbeifuhr. Er parkte in einer schmutzigen Straße vor einem kleinen schäbigen Haus mit geschlossenen Fensterläden.
Lennet fuhr noch einige hundert Meter weiter, stellte den Wagen auf einem kleinen Platz ab und ging rasch zurück.
Er hatte noch nicht die Hälfte der Strecke zurückgelegt, als er in einer Toreinfahrt einen staubbedeckten Renault stehen sah. Rasch notierte er sich die Nummer, um die Kennziffer mit der des Spinnenbarons vergleichen zu können.
Nach kurzem Nachdenken zog er das Taschenmesser und stach ein Loch in einen Reifen des Renault.
»Wenn es nicht der Wagen des Barons ist, entschuldige ich mich vielmals bei dem Besitzer«, murmelte Lennet grinsend vor sich hin.
Die Straße war düster. Drei Straßenlaternen warfen armseliges Licht auf das Pflaster. Eine trostlose Gegend.
Lennet hatte allen Grund, sich hier unbeobachtet zu fühlen. Dennoch mußte er vorsichtig sein. So tastete er nach der Achsel, wo seine Pistole steckte. Sie war da, und das war beruhigend. Sie hatte ihn noch nie im Stich gelassen, wenn er sie brauchte.
Die Reifen des Chrysler – dicke Reifen mit unverschämt weißen Seitenwänden – luden geradezu dazu ein, ihnen ein wenig mit dem Messer zu Leibe zu rücken, und Lennet konnte der Versuchung nicht widerstehen. Außerdem war es natürlich auch eine Vorsichtsmaßnahme: Er mußte ja vor dem Gegner wieder zurück sein. Sein Wagen mußte bereits wieder in der Garage stehen, wenn der Chrysler geparkt werden sollte.
Nachdem er dies erledigt hatte, näherte er sich vorsichtig dem Haus. Ein wenig Licht drang aus einem der Läden. Lennet drückte die Nase an den Spalt und hätte dann beinahe einen Schrei ausgestoßen.
»Ich habe ja viel erwartet, aber nicht das hier«, murmelte er vor sich hin.
Unglücklicherweise sah er nur sehr schlecht und konnte nicht erkennen, in welcher Lage sich die Person befand, die sein Erstaunen ausgelöst hatte: Es war niemand anderes als Jenny
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