10 - Operation Rainbow
zu werden.
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In London herrschte noch immer Berufsverkehr. Iwan Petrowitsch Kirilenko besaß ein Apartment nicht weit von der Botschaft entfernt, weshalb er zu Fuß ins Büro gehen konnte. Die Bürgersteige waren voller hektischer Passanten, die zur Arbeit eilten. Die Engländer sind ein höfliches Volk, doch Londoner pflegen rücksichtslos zu rennen. Genau um 8.20 Uhr kam er zur vereinbarten Straßenecke, ein konservatives Morgenblatt in der Linken - sein Exemplar des Daily Telegraph - und wartete auf das Umspringen der Ampel.
Die Übergabe wurde professionell durchgeführt. Keine Worte wurden gewechselt, nur ein doppelter Stupser am Ellbogen, bis er den Griff gelockert und den Telegraph gegen ein gleiches Exemplar ausgetauscht hatte. All das geschah unter der Gürtellinie, zufälligen Blicken anderer Passanten entzogen, und tief genug, um Kameraaugen auszuweichen, die womöglich das Geschehen an der belebten Kreuzung von den Dächern der Hochhäuser aus filmen könnten. Der rezident mußte sich ein Lächeln verkneifen. Der Einsatz vor Ort war doch das Schönste an seinem Beruf. Trotz des hohen Rangs, den er gegenwärtig einnahm, schätzte er den Spionagealltag, schon um sich zu beweisen, daß er mit den jungen Leuten, die jetzt unter ihm arbeiteten, allemal mithalten konnte. Ein paar Sekunden später wurde die Ampel grün, und ein Mann im Regenmantel löste sich von seiner Seite und entfernte sich in forschem Tempo, die Morgenzeitung unter dem Arm. - Die Botschaft lag nur ein paar Straßen weiter. Er durchquerte das Gittertor, betrat das Gebäude, kam an den Wachbeamten vorüber, treppauf in sein Büro im zweiten Stock, wo er den Mantel auf den Bügel hinter der Tür hängte, sich an den Schreibtisch setzte und die Zeitung aufschlug.
Dmitrij Arkadejewitsch hatte Wort gehalten. Zwei unlinierte Blätter waren mit handgeschriebenen Kommentaren versehen. John Clark hielt sich in Hereford auf, gar nicht weit weg von hier, als Befehlshaber einer neuen multinationalen Anti-Terror-Einheit, die unter dem Namen »Rainbow« operierte - zwanzig Männer, die man aus England, Amerika und vielleicht noch weiteren Staaten zusammengeholt hatte. Eine schwarze operative Gruppe, von der nur eine Handvoll hochrangiger Politiker wußte. Seine Frau arbeitete im Krankenhaus am Ort als Schwester. Sein Team war bei Anwohnern, soweit sie Zutritt zum SAS-Stützpunkt hatten, sehr geschätzt. Rainbow hatte bisher drei Einsätze hinter sich - in Bern, Wien und im Worldpark - wo man jedesmal gegen Terroristen - Kirilenko fiel auf, daß Popov den früheren Terminus progressive Elemente< mied - rasch, effizient und als Polizeieinheit des jeweiligen Landes getarnt vorgegangen war. Das Rainbow-Team erhielt seine Ausrüstung aus Amerika, die auch in Spanien eingesetzt worden war, wie sich aus den Fernsehberichten ergab. Popov schloß mit der Empfehlung, daß sich die Botschaft entsprechende Mitschnitte besorgen solle. Am besten durch den Militärattache.
Ein insgesamt nützlicher, komprimierter und informativer Bericht, fand der rezident , und in jedem Fall den Handel wert, den sie an der Straßenecke besiegelt hatten.
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»Ist heute was Besonderes vorgefallen?« fragte Cyril Holt den Leiter der Überwachung.
»Nein«, entgegnete der >Five<-Mann. »Er trug wie immer die Zeitung in der Linken, aber der Bürgersteig war vollkommen überlaufen. Wenn es einen Austausch gab, haben wir nichts davon mitbekommen. Immerhin haben wir's mit einem Profi zu tun«, gab der Chef des Uberwachungskommandos zu bedenken. Der stellvertretende Direktor des Sicherheitsdienstes nickte stirnrunzelnd.
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Popov hielt einen braunen, breitrandigen Hut im Schoß, als er im Zug saß, der ihn nach Hereford zurückbrachte. Nach außen hin las er in der Zeitung, in Wahrheit blätterte er in der engzeiligen Kopie des Berichts aus Moskau. Auf Kirilenko konnte er sich verlassen, wie Dmitrij Arkadejewitsch erfreut feststellte. Gehört sich ja auch für einen guten rezident . Und so saß er hier allein in der Ersten Klasse des Intercitys von Paddington Station nach Hereford, erfuhr Näheres über John Clark und war sehr beeindruckt. Sein ehemaliger Arbeitgeber in Moskau ließ ihm einige Aufmerksamkeit angedeihen. Drei Fotos gab es, eins war sogar ziemlich scharf, das offenbar im Büro des Geheimdienstchefs geschossen worden war. Sie hatten sich sogar bemüht, etwas über seine Familienverhältnisse herauszufinden. Zwei Töchter, eine noch im College in Amerika, die
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