10 SCIENCE FICTION KRIMINAL-STORIES
möglich, die frühe Kindheit von Sam Clay zu untersuchen. Jetzt hatte er ein rein akademisches Interesse daran, aber er liebte es, seine Neugier spielen zu lassen. Er verfolgte Clay bis in jene dunkle Kammer zurück – als er ein vierjähriger Knabe war – und verwendete Ultraviolett. Sam hatte sich in eine Ecke gedrückt, weinte stumm vor sich hin und starrte mit erschreckten Augen auf ein hochgelegenes Wandbrett.
Was sich auf diesem Brett befand, konnte der Techniker nicht erkennen. Er ließ das Gerät auf diese Kammer eingestellt und wanderte schnell in der Zeit zurück. Die Tür wurde geöffnet und wieder geschlossen, ziemlich oft, und es kam häufig vor, daß Sam Clay strafweise in der Kammer einge sperrt wurde; das Brett aber hütete sein Geheimnis, bis –
Es geschah während des Rücklaufs. Eine Frau langte auf das Brett, nahm einen Gegenstand herab, schritt rückwärts aus der Kammer in Sam Clays Schlafzimmer und ging zu der Wand neben der Tür.
Dies war ungewöhnlich, denn meist war Sams Vater der Hüter der Kammer.
Sie hängte ein gerahmtes Bild auf – ein riesiges, einzelnes, starrblickendes Auge, das im leeren Raum schwebte. Unter ihm stand ein Spruch. Die Buchstaben ergaben: UND GOTT SIEHT MICH.
Der Techniker spürte der Sache weiter nach. Es wurde Nacht. Das Kind war im Bett, saß hochaufgerichtet da, mit geweiteten Augen, voller Angst. Man hörte die Schritte eines Mannes die Treppe heraufkommen. Es war Sams Vater, der zu ihm ging, um ihn zu bestrafen, wegen irgendeines Lausbubenstreiches. Der Mond schien auf die Wand, hinter der die Schritte näher kamen; man sah, wie die Wand von der Erschütterung ein wenig vibrierte, und das Auge in seinem Rahmen vibrierte mit. Der Junge schien sich in Erwartung des Kommenden anzuspannen. Ein trotziges, schiefes Grinsen erschien auf seinen Lippen.
Diesmal würde er weiterlächeln, ganz egal, was passierte. Wenn es vorbei war, würde er noch immer lächeln, so daß es sein Vater sehen könnte, und auch das Auge – er hatte nicht aufgegeben. Er nicht!
Die Tür öffnete sich.
Er war hilflos dagegen. Das Lächeln verblaßte und war dann verschwunden.
*
»Was war bloß mit ihm los?« wollte der Techniker wissen.
Der Soziologe zuckte die Achseln. »Man könnte fast meinen, daß er nie erwachsen wurde. Es ist ein Axiom der Psychologie, daß Buben eine Zeitlang mit ihren Vätern rivalisieren. Normalerweise wird das unterdrückt: das Kind wird erwachsen und gewinnt auf jeden Fall die Oberhand. Bei Sam Clay war das nicht der Fall. Ich glaube, er hat ziemlich früh ein extrovertiertes Gewissen entwickelt. Dieses Symbol besteht bei ihm zum Teil aus seinem Vater, zum Teil aus Gott, einem Auge und der Gesellschaft – die ja die Rolle der beschützenden und bestrafenden Eltern übernimmt.«
»Das ist noch immer kein Beweis.«
»Wir werden auch nie irgendeinen Beweis gegen Sam Clay finden. Aber das soll noch lange nicht heißen, daß er sein Ziel auch wirklich erreicht hat, verstehen Sie? Er hatte immer Angst vor der Verantwortungslast des Erwachsenseins. Er ging niemals den schwierigsten Weg. Er fürchtete sich unterbewußt davor, daß ihm irgend etwas gelingen mochte, hatte Angst vor seinem symbolischen Auge, das ihn dafür bestrafen könnte. Als er noch ein Kind war, hätte er vielleicht sein ganzes Problem beseitigen können, indem er seinen Vater einmal kräftig vor das Schienbein trat. Sicher, er hätte noch mehr Prügel bezogen, aber damit wenigstens etwas getan, um seine Persönlichkeit zu unterstreichen. So wie die Dinge liegen, hat er zu lange gewartet. Und dann wehrte er sich gegen die falsche Sache, und im Grunde genommen war es nicht einmal Trotz oder Abwehr. Jetzt ist es zu spät. Die Jahre, wo man ihn noch
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