100 Tage Sex
einen Hauch hemmungsloser, ein paar Grad heißer.
Mir gefiel, wie Annie sich durch die Pornoveranstaltung kämpfte. Sie ist nicht der Pornotyp - sie hat nichts übrig für Tätowierungen, Ausschweifungen, Drogen, nächtelanges Feiern oder protzige Autos, für Hollywood oder Nabelpiercings.
Selbst Sex and the City langweilte sie schon nach der ersten Staffel. Annie ist bodenständig. Nur wenige Dinge auf der Welt machen sie glücklicher als ein Tag in der Küche. Sie liebt Sport, Natur, Museums- und Büchereibesuche mit den Kindern. Sie strickt gerne. Und dennoch liebt sie Abenteuer und Risiko über alle Maßen.
Wir waren gerade mal drei Monate zusammen, da beschloss Annie, all ihren Freunden in Philadelphia auf Wiedersehen zu sagen und mit mir nach Minneapolis zu ziehen, wo ich einen Aufbaustudiengang machte. Minneapolis gefiel uns gut, aber irgendwann hatten wir genug von den langen Wintern. Annies Lösung? Ins sonnige New Mexico ziehen, auch wenn wir dort weder Jobs noch eine Wohnung noch Freunde hatten. Als wir ankamen, steckte unser gesamtes Hab und Gut in Müllsäcken. Ein paar Monate lang logierten wir in einem lauten Hotel, schließlich fanden wir Arbeit und eine Wohnung.
Über fünf Jahre lang blieben wir im »verzauberten Land« hängen, bis eine neue Stelle mich nach Florida verschlug. Da Annie bereits einige Monate mit Joni schwanger war, zog ich fürs Erste allein nach Florida. Dort lebte ich eine Zeit lang in einem schmierigen, bei Nutten überaus beliebten Motel in Boynton Beach. In einem einzigen Monat brachten Annie und ich eine Telefonrechnung von 700 Dollar zusammen. Später zog ich in ein schäbiges Apartment, in dem es vor Eidechsen nur so wimmelte. Die inzwischen hochschwangere Annie kam mich besuchen. Schon am Flughafen liefen ihr die Tränen in ganzen Sturzbächen herunter, weil, wie sie sagte, sie mich so sehr liebte.
Das war, bevor sie die herumflitzenden Reptilien sah.
Endlich fanden wir in Delray Beach eine Wohnung für die Familie. Wir waren verblüfft, wie viele protzige Sportwagen vor dem Mietshaus parkten - unsere Nachbarn konnten sich zwar kein eigenes Haus leisten, aber die Leasingraten für einen neuen Porsche schienen trotzdem drin zu sein. Diese Lebenseinstellung war so ungefähr das Gegenteil dessen, was man in New Mexico erlebte, in Annies geliebtem New Mexico. Als ich jung war, fuhr unsere Familie oft an den Strand von New Jersey. Ich liebe das Meer, und so fand ich auch in Südflorida immer Dinge, die bezauberten: die Zuckersand-Strände, das türkisblaue Wasser, die salzige Brise, die Meerestiere. Doch Annie hat für Strände und Meer gar nichts übrig, und schwüle Hitze, flache Landschaft und Sümpfe hasst sie geradezu. Die prähistorisch anmutenden, dreisten fliegenden Küchenschaben, die Giftfrösche, die Eidechsen, die über unser Bett flitzten - all das brachte Florida zusätzliche Minuspunkte ein.
Eines Tages, wenige Wochen nach Jonis Geburt, saß Annie daheim auf der Couch und kniff die Augen zusammen. Sie deutete auf die gegenüberliegende Wand.
»Warum bewegt sich die Wand?«, fragte sie.
Sie stand auf, ging einige Schritte und schrie.
»Zecken!«, brüllte sie und warf sich zurück auf die Couch.
Eine Horde Zecken hatte sich an der Wand versammelt und wanderte jetzt hinab Richtung Boden. Da waren wir etwa ein halbes Jahr im Sunshine State gewesen. Monate später entschieden wir uns, nicht das Vernünftigste zu tun - dazubleiben, ein Haus zu kaufen, vier, fünf Jahre Arbeitserfahrung in einer Redaktion zu sammeln und erst
dann weiterzuziehen. Stattdessen schleppten wir uns von Florida nach Washington D.C., wo mich ein neuer Job erwartete. Wir stapelten unser Zeug in einer winzigen Wohnung, in der wir eineinhalb Jahre zusammen mit unserer damals dreijährigen Tochter hausten. Die Bude war so däumlingklein, dass Annie und ich auf der geschlossenen Veranda schliefen. Im Sommer war es dort unerträglich heiß, im Winter eiskalt, aber dafür genossen wir einen einmaligen Blick auf die Rattenstämme, die hinter unserem Haus gediehen.
Nun, ein paar Umzüge später, standen wir in Las Vegas am Flughafen, in einer endlosen Schlange, die zur Sicherheitskontrolle mäanderte. Nur Stunden zuvor hatten wir unsere zweite Sexwoche mit einer Morgenrunde auf dem prächtigen Flamingo-Bett eingeläutet. Während wir uns langsam vorwärtsschoben, studierte ich die Liste verbotener Gegenstände. Unsere Taschen steckten voller Beute von der Messe - über zehn Kilo
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