1001 Kuss - und dann Schluss
hergestellt.“
Razi musste sein Reich sehr lieben. Der Skiurlaub in Val d’Isère war ganz offenkundig sein letztes Abenteuer gewesen, bevor er die Herrschaft über den Inselstaat übernommen hatte. Und sie selbst hatte nur eine kleine, amüsante Nebenrolle dabei gespielt.
„Woran denkst du?“, wollte er wissen.
Lucy schob die trüben Gedanken beiseite und konzentrierte sich auf ihre Umgebung. „Dies ist ein magischer Ort“, gestand sie ehrlich.
Alles hier war ihr neu und fremd. Sie wusste gar nichts über dieses Land. Als sie behutsam die Hand über die Stoffwände gleiten ließ, erklärte Razi, dass sie so fein gesponnen seien, damit kein Sand ins Innere dringen konnte. Genau wie die Möbel waren sie also nicht nur schön, sondern erfüllten auch einen Zweck. Lucy kam sich vor wie in Aladins Höhle. Kostbare Truhen aus Ebenholz mit Einlegearbeiten aus Perlmutt, gehämmerte Messingtische und wunderschöne Teppiche in Edelsteinfarben verzierten den Pavillon. Große Seidenkissen luden zum Verweilen ein, auf Hochglanz polierte Leuchten tauchten den Raum in honiggelbes Licht. In diesem Moment wurde Lucy bewusst, was sie ihrem Kind vorenthalten würde. Am liebsten hätte sie Razi zur Geschichte jedes Gegenstands befragt, damit sie ihrem Baby später einmal davon erzählen konnte. Doch das musste sie sich wohl verkneifen, da er an so einer Unterhaltung wohl kaum interessiert war. Außerdem fiel es ihr schwer, so zu tun, als wäre alles normal, wenn sie ihm gleichzeitig verschwieg, dass sie sein Baby erwartete.
Er bot ihr ein Glas Wasser an, das sie trank, während er zum Jeep ging, um den Picknickkorb zu holen. Sie nutzte die Zeit, um sich genauer umzusehen und entdeckte Schalen mit Leckereien und gefüllte Saftkrüge. „Du hast das sorgfältig geplant“, sagte sie bei seiner Rückkehr.
„Ich hatte ja immerhin fünf Minuten Zeit“, antwortete er trocken und stellte den Korb ab.
Razi besaß alle materiellen Güter, die er sich nur wünschen konnte, doch er schien seine Lebensfreude verloren zu haben. Und die Fähigkeit, einen Mitmenschen zu lieben oder ihm Mitgefühl entgegenzubringen, schien ihm ebenfalls abhanden gekommen zu sein. Konnte das gut für sein Land sein? Und wie konnte das freudlose Leben eines Vaters, der nur seine Verpflichtungen im Sinn hatte, gut für ihr Baby sein?
„Viele Geschenke hier stammen von den Beduinen“, erklärte Razi. „Mein Bruder kommt auch gelegentlich her.“
„Ihr steht euch wohl sehr nahe.“
„Wir können uns hundertprozentig aufeinander verlassen.“ Razi schaute sie forschend an. „Geht es dir nicht gut?“
„Doch. Mir geht es wunderbar“, log sie. Dabei litt sie schon wieder unter Schwangerschaftsbeschwerden.
„Hier, trink noch ein Glas Wasser.“
„Mir geht es wirklich gut“, wiederholte sie, als er sie erneut forschend betrachtete. Doch niemand konnte Razi etwas vormachen.
Er glaubte ihr kein Wort. Für seinen Geschmack betonte Lucy zu sehr, wie gut es ihr ging. Irgendetwas verheimlichte sie vor ihm. Aber was? Er weigerte sich, die plausibelste Erklärung in Betracht zu ziehen. Lucy war zu ehrlich, um ihm so eine wichtige Neuigkeit vorzuenthalten. Aber ihre müden Augen und die ungewöhnlich blasse Gesichtsfarbe gaben ihm zu denken.
Der Wunsch, Lucy zu beschützen und sein Land zu verteidigen, wuchs übermächtig. Doch beides konnte er nicht haben. Es war richtig gewesen, sie vor neugierigen Blicken zu bewahren und aus der Stadt zu bringen. Natürlich hätte er auch woanders mit ihr hinfahren können, hatte sich aber für die romantische Maktabi-Lagune entschieden. Dieser sinnliche Ort war von so großer ökologischer Bedeutung, dass sein Bruder und er nur den Beduinen gestatteten, die Oase zu nutzen, wenn sie durch dieses Gebiet zogen. Er hatte Lucy hergebracht, weil er sich in der Wüste wie befreit fühlte. Hier suchte er Zuflucht, wenn er ein Gefühl von Freiheit spüren wollte. Und gerade Lucy wollte er diesen magischen Ort zeigen.
Jetzt wünschte er sich, sie könnte bei ihm bleiben.
Warum eigentlich nicht?
Er führte ein stummes Streitgespräch mit sich selbst, mit dem Ergebnis, dass Regeln dazu da waren, gebrochen zu werden. Doch das entsprach nicht seinem Stil als Herrscher. Aber wenigstens sollte Lucy es bequem haben. „In der Truhe da drüben liegen Gewänder“, bemerkte er mit Blick auf Lucys Leinenkostüm.
„Für deine Besucherinnen?“
Das war die Lucy, an die er sich erinnerte: Feuer unter dem Eis. Und Eifersucht? Das
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