1007 - Totenwache
einfach alles anders geworden.
Ich schaute in die Augen. Mein Blick war zu einer Aufforderung geworden. Ich wollte, daß die Gestalt merkte, was in mir vorging, aber es passierte nichts.
Dann hatte ich die Kette über den Kopf gestreift. Ich spürte das Gewicht des Kreuzes auf meiner Handfläche, und es beruhigte mich in in diesen Augenblicken nicht, weil einfach zuviel auf dem Spiel stand.
Horace F. Sinclair mußte es erkennen, falls er mit seinen Augen überhaupt sehen konnte.
Nichts bewegte sich.
Auch das Kreuz erwärmte sich nicht in meiner Hand. Es übte den Druck aus, und es kam mir vor wie ein einfaches Stück Blei. Meine Hand zuckte unkontrolliert.
Was würde geschehen, wenn das geweihte Silber den Knochenkopf berührte. War es das Ende?
Ich hatte mir niemals zuvor diese Gedanken machen müssen, denn diese schon ultimative Waffe hatte ich immer gegen schwarzmagische Feinde eingesetzt.
Auch wenn sich mein Vater so verändert hatte, als ein schwarzmagisches Wesen konnte ich ihn beim besten Willen nicht einstufen.
Deshalb sah ich ihn auch so lange mit anderen und normalen Augen an, bis er mich vom Gegenteil überzeugte.
Das Kreuz schien in meiner Hand zu glühen. Ich selbst zitterte und bebte auch, als ich mich Horace F. Sinclair näherte. Dabei wünschte ich mich weit weg.
Keine Chance.
Ich war da. Ich mußte auch weiterhin den direkten Weg zum Ziel gehen. Meine Sinne waren so stark gespannt, daß mir wieder der leichte Verwesungsgeruch auffiel. Dabei kam mir in den Sinn, daß mein Vater schon länger tot war und er auch unter die Erde mußte.
Ich hatte für ihn ein normales Begräbnis vorgesehen, nun aber lagen die Dinge ganz anders.
Das Kreuz bewegte sich zusammen mit der Hand auf ihn zu. Ich überlegte, wie ich handeln sollte.
Nur eine Berührung am Knochenschädel? Oder sollte ich ihm die Kette über den Skelettkopf streifen?
Ein letzter Versuch. »Vater!«
Und diesmal erhielt ich eine Antwort. Er hatte wohl nur darauf gewartet, daß ich allein war. Aber die Worte waren akustisch nicht vernehmbar. Ich hörte sie nur im Kopf.
»Ich bin nicht mehr dein Vater. Ich bin Lalibela. Ich will meine Macht zurückhaben. Ich bin Lalibela…«
***
Suko hatte es sich nach dem Verlassen der Leichenhalle so einfach wie möglich gemacht und die Beretta Don Crady an den Kopf gehalten. Die kalte Mündung berührte dessen Nacken und hatte ihn zunächst zusammenzucken lassen. Das aber ging schnell vorbei, obgleich er sich an die Bedrohung nicht gewöhnt hatte. »Ihr werdet nicht gewinnen«, erklärte er. »Ihr werdet nicht gewinnen können, denn die anderen sind stärker.«
»Welche anderen?« fragte Suko.
»Die Kräfte Lalibelas.«
»Nein«, flüsterte der Inspektor. »Sie sind vorbei. Ihr habt auf das falsche Pferd gesetzt.«
»Wie willst du das wissen?«
»Es haben schon einmal Diener Lalibelas ihr Leben verloren. Nicht hier, sondern in Aksum, als sie sich an der Bundeslade zu schaffen machen wollten. Man hat sie jedoch erst gar nicht hingelassen. Sie starben, sie verbrannten, verglühten, und ein ähnliches Schicksal wird es auch für euch geben. Davon bin ich überzeugt.«
»Nicht, wenn wir ihn selbst an die Lade heranbringen.«
Suko war überrascht. Mit dieser Eröffnung hätte er nie gerechnet.
Plötzlich war eine große Tür aufgestoßen worden, und ihm gelang es, in das große Dunkel hineinzuschauen. Nun endlich wußte er, was die Männer mit der Entführung bezweckt hatten. Horace F. Sinclair, in dessen Augen sich der Geist Lalibelas manifestiert hatte, sollte die Diener an die Bundeslade heranführen. Was dem Sohn verwehrt geblieben war, mußte vom Vater in die Wege geleitet werden.
»So sehen also eure Pläne aus«, sagte Suko leise.
»Ja. Hattest du etwas anderes erwartet?«
»Ja und nein, wenn ich ehrlich bin. Ich habe mir allerdings kaum Gedanken darüber gemacht, und ich weiß auch, daß es nicht soweit kommen wird.«
»Rechnest du mit deinem Freund?«
»Ja.«
»Der Sohn…?«
»Was soll das?«
Suko mußte auf die Antwort warten, denn Crady konnte das Lachen nicht unterdrücken. »Ich weiß nicht, wie die beiden früher zueinander gestanden haben, aber du wirst nicht mehr damit rechnen können, in dieser Leichenhalle noch Vater und Sohn zu sehen. Horace F. Sinclair ist nicht mehr derjenige, der er einmal war. Er ist zu einem anderen geworden. Er hat unserer Loge lange genug angehört, um würdig für den großen Lalibela zu sein.«
»Eurer Loge?«
»Ja.«
»Wer wußte
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