1008 - Endloser Schrecken
atmete tief ein.
»Dann muß ich damit rechnen, daß mein Vater wiederum anders aussieht. Anders jedenfalls, als beim letztenmal, als ich ihn sah.«
Sie nickte. »Stimmt, John, er sieht anders aus, ohne Totenschädel, denn irgendwo müssen deine Gesichtszüge ja hingelangt sein.«
Schnaufend stieß ich die Luft aus. »Du meinst, daß er mit meinem Gesicht herumläuft?«
»So ist es.«
Es war die Wahrheit, es mußte sie einfach sein. Ein Schwindelanfall ließ mich taumeln. Dabei schaute ich gegen die Decke der Grillhütte, die sich plötzlich bewegte und in Schatten auflöste. Ich schwamm weg. Ich trieb dahin. Der Halt unter mir löste sich auf, und es dauerte eine Weile, bis ich wieder zu Kräften kam und normal handeln konnte.
»Es ist die einzige Möglichkeit, die sich ergeben kann«, erklärte Donata.
Sie war mir noch immer nahe, aber ihre Stimme hörte sich an, als hätte sie aus weiter Ferne gesprochen. Ich stellte mir vor, in die Leichenhalle zu kommen, auf den Sarg zuzugehen und meinen Vater mit meinem Gesicht dort liegen zu sehen.
Furchtbar. Mein Herz schlug schneller. Der Schweiß drang wieder aus den Poren und erwischte meine Stirn. Mein Atem hörte sich schwer und keuchend an.
»Ich kann mir vorstellen, was du jetzt denkst, John, aber so muß es einfach gewesen sein.«
»Warum nur?« flüsterte ich, wobei ich den Kopf schüttelte.
»Warum das alles?«
»Es ist der Geist des Lalibela. Du hast ihn gestört. Er wollte die Macht übernehmen, das hast du verhindert, und deshalb trifft dich seine Rache.«
»Für alle Zeiten, wie?«
Die feinstoffliche Gestalt deutete so etwas wie ein Heben ihrer Schultern an. »Das muß nicht so sein«, machte sie mir Mut. »Das ist vielleicht nur vorübergehend. Es liegt an dir…«
»Wieso an mir?« Ich schluckte. »Durch mein Kreuz habe ich seinen Geist vernichtet und…«
»Er hat sich noch einmal gerächt, John.«
»Der Geist? Wenn ja, dann hat das Kreuz verloren, glaube ich. Es muß verloren haben. Dann ist Lalibela stärker gewesen…«
Donata wollte das nicht akzeptieren und schüttelte den Kopf.
»Nein, John, er ist nicht stärker gewesen als das Kreuz. Er hat nur einen anderen Zustand erlebt.«
»Wie du?«
»So ähnlich, John, denn er wurde nicht vernichtet, sondern verschwand in einer anderen Sphäre. Er tauchte dort hinein, breitete sich aus und konnte auch von dort seine Fäden ziehen. Das genau ist es, was ich meine.«
»Dann seid ihr gleich?« fragte ich.
»Ähnlich«, antwortete sie mir. »Wir beide sind uns ähnlich. Nur reagieren wir auf verschiedene Art und Weise. Ich stehe auf deiner Seite, weil ich dir dankbar bin. Er muß es nicht sein, denn er ist zu einem Feind geworden.«
»Kannst du ihn denn bekämpfen?« fragte ich.
»Nicht direkt, John. Ich kann dir nur Ratschläge geben, das ist wirklich alles. Den Rest oder die Hauptaufgabe muß du übernehmen.«
»Und das wäre?«
»Zwinge ihn einfach dazu, dir das Gesicht zurückzugeben. Das ist alles.«
»Wie denn?«
Sie bewegte ihren Kopf und schaute dabei mit gesenktem Blick auf die Klinge. »Du bist jetzt der Besitzer des Schwerts. Sorge dafür, daß du es richtig einsetzt.«
Ich stand auf, weil mich ein heißer Strom durchschoß. »Mit dem Schwert kann man kämpfen, zuschlagen…«
»Richtig.«
Die nächste Frage fiel mir schwer, aber ich stellte sie. »Auch bei meinem Vater?«
»Ja, John Sinclair, auch bei ihm.«
»Und was würde das bedeuten?«
»Ich kann es dir nicht genau sagen. Aber im Fall aller Fälle müßtest du ihm den Kopf abschlagen…«
***
Suko waren die Hände gebunden. Für sein Leben gern hätte er jetzt Aktivitäten gezeigt, aber er wußte nicht, wo er anfangen sollte.
Wichtig war John Sinclair. Und wichtig war auch, daß er ihn erreichte, aber John würde sich nicht melden. Er schien in wilder Panik geflohen zu sein und sich versteckt zu halten. Irgendwo hatte er sich verkrochen wie ein Tier, das angeschossen war.
Ein Fehler, ein großer Fehler, denn so war ihm nicht zu helfen. Zudem würden im Laufe des Tages die Trauergäste eintreffen. Suko überlegte, ob er ihnen reinen Wein einschenken oder alles auf sich beruhen lassen wollte.
Es hatte keinen Sinn, wenn er die Wahrheit verschwieg. Aber war es nicht doch besser, wenn die Beerdigung verschoben wurde?
Der Inspektor wußte sich keinen Rat. Er war wieder zum Haus der Sinclairs gefahren, das für ihn mittlerweile zu einem Hauptquartier geworden war. Hier wollte er auf die Freunde aus London warten,
Weitere Kostenlose Bücher