101 - Das Narbengesicht
teuflischen Gift gefüllt war. Ich kannte diese Waffen. Viele reiche Männer bedienten sich ihrer. Denn sie waren ungeübt im Schwertkampf.
„Du sagst nichts?" stieß ich rauh hervor. „Dann nehme ich an, daß du mir nichts mehr zu sagen hast."
Ich sah das tückische Funkeln in seinen Augen. Mit einer Schnelligkeit, die ich ihm nicht zugetraut hatte, schnellte er vor. Er hätte mich mit dem Giftdolch mitten ins Herz getroffen, wenn ich nicht in der Blutlache des Schlangenungetüms ausgerutscht wäre. Als er an mir vorbeisprang, stieß ich mit dem Tomokirimaru zu. Das Schwert traf ihn. Sein Schrei war so entsetzlich, daß ich gequält aufstöhnte. Seine Stimme hatte nichts Menschliches mehr an sich. Ich wollte das Schwert aus seinem Körper reißen, doch es schien an den Drachenfürsten geschmiedet zu sein. Ich mußte meine ganze Kraft sammeln, um die Klinge wieder an mich zu bringen. Mir war, als hätte ich ein Ding zerteilt, das härter und widerstandsfähiger als Stahl war.
Der Drachenfürst lebte nicht mehr. War er ein Dämon? Diese Frage konnte mir nur mein Kokuo beantworten.
Prüfend betrachtete ich mein Tomokirimaru. Die Klinge schimmerte wie ein lupenreiner Diamant. Ich konnte mich nicht geirrt haben. Der Drachenfürst mußte ein Dämon wie mein Kokuo sein. Ich erschauerte. In was hatte ich mich da eingelassen? War ich bereits so vermessen, daß ich mächtige Dämonen zum Kampf herausforderte?
Ich ahnte, daß ich in das fein gesponnene Netzwerk einer dämonischen Intrige verwickelt war. Auf der einen Seite stand mein Kokuo no Tokoyo mit den zwei Gesichtern. Auf der anderen Seite standen dämonische Wesen wie der Drachenmönch oder der tote Drachenfürst.
Sumitodo stürmte in den Saal. Er blutete aus zahlreichen Wunden. Sein Gesicht war schweißüberströmt.
„Es sind zu viele!" keuchte er atemlos. „Die meisten von uns sind tot."
„Dann laß uns verschwinden, Sumitodo! Ich habe meinen Auftrag ausgeführt. Mich hält hier nichts mehr."
Wir schlugen uns wacker. In den Gängen lagen sterbende Krieger. Feuer loderten in den Wohnräumen, und in den Ställen wieherten die Pferde. Am Eingang überschüttete uns ein Pfeilhagel. Ich stemmte einen Samurai des Drachenfürsten hoch und hielt ihn wie einen Schild vor mich. Mit einem Kampfschrei auf den Lippen stürmte ich über den Hof. Dort ließ ich den Kerl fallen und zertrennte den Riegel des Pferdestalls mit einem Schwerthieb. Dumpfer Gestank schlug mir entgegen.
„Öffnet das Tor!" schrie ich den letzten Kämpfern zu, die mir noch geblieben waren.
Ich ließ alle Pferde frei. Die Tiere galoppierten in den lief. Dort herrschte ein furchtbares Chaos. Die Kunde vom Tod des Fürsten löste eine Welle des Entsetzens bei den Samurais aus. Anstatt uns noch hartnäckiger zu bekämpfen, liefen sie wie aufgeschreckte Hühner umher. Dennoch durften wir uns dadurch zu keiner Unvorsichtigkeit verleiten lassen. Sie waren in großer Überzahl.
Ich schnappte mir den prächtigsten Hengst. Das scheue Tier wieherte schrill auf, als ich mich auf seinen Rücken schwang. Ich umklammerte mit der Linken seine Mähne. Mit der Rechten teilte ich tödliche Schwerthiebe aus. Ein Samurai des toten Fürsten nach dem anderen sank tot in den Schnee. Wie ein Sturmwind jagten wir ins Freie. Sumitodo hatte das Tor geöffnet. Er wartete, bis ich hei ihm war. Ich streckte meine Linke aus, und er schwang sich hinter mich auf mein Pferd.
Außer einer Handvoll erschöpfter Kämpfer war mir nichts geblieben. Wir schlugen im höllischen Galopp den Weg in die verschneiten Berge ein. Das Geschrei der gegnerischen Samurais verfolgte uns noch eine Weile. Dann waren wir allein im heulenden Sturm.
Bis zum nächsten Dorf würden wir fast eine Woche unterwegs sein.
Gegenwart.
Ich fand nur langsam wieder in das gegenwärtige Geschehen zurück. Erinnerungen und Gegenwart vermischten sich.
Ich war Dorian Hunter, der Dämonenkiller, unter der Maske Richard Steiners. Neben mir saß Coco Zamis. Sie strich mir zärtlich über die heiße Stirn. Ich war nicht mehr der Schwarze Samurai. Diese Zeit war längst vergangen. Mehrere hundert Jahre trennten mich von dieser Existenz.
„Du hast es überstanden, Dorian", sagte Coco leise.
„Nenn mich nicht immer Dorian", erwiderte ich. „Für die anderen bin ich Richard Steiner. Übrigens - wo bin ich eigentlich?"
„In Yoshis Haus. Du bist wie ein Schlafwandler mitgekommen. Ein Wunder, daß Abi und Yoshi keinen Verdacht geschöpft haben. Du warst in der
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