101 Nacht: Aus dem Arabischen erstmals ins Deutsche übertragen von Claudia Ott nach der Handschrift des Aga Khan Museums (German Edition)
schrie die Dienerin. «Herrin, die Truppen von Suleiman Ibn Abdalmalik haben unser Land überzogen und stehen schon überall!»
Das Mädchen aber wandte sich an Suleiman und sprach zu ihm: «Asad, mein Herr, gedulde dich nur noch bis morgen, dann wirst du sehen, was ich mit Suleiman Ibn Abdalmalik mache und welch ein Krieg zwischen uns entbrennen wird!» Mit diesen Worten entließ sie Suleiman und stieg hinauf in das oberste Gemach ihres Palasts, um Suleimans Truppen zu mustern. Sie gewahrte lustig flatternde Fahnen und leuchtende Feldzeichen. Von allen Seiten her tauchten die Stirnlocken der Streitrösser auf. Sobald sie nahe an die Ortschaft herangekommen waren, wurden große Rundzelte und kleinere Heereszelte aus Haartuch aufgeschlagen und Feldzeichen in den Boden gesteckt.
Das Mädchen sah ein Heer, an das man sich nicht heranwagen mochte, dem wogenden Meer gleich. Sie staunte bei diesem Anblick. Und die Leute verbrachten diese Nacht, indem sie Wache hielten.
An dieser Stelle unterbrach das Morgengrauen Schahrasad , und sie verstummte. Der König erhob sich, entzückt von ihrer spannenden Geschichte, verschloss die Tür, versiegelte sie mit seinem Siegel und begab sich in seine Regierungsgemächer.
Die fünfunddreißigste Nacht
Er spricht:
Und in der folgenden Nacht kam der König, brach das Siegel auf und schlief mit dem Mädchen bis zu der bewussten Zeit.
Da rief ihre Schwester Danisad ihr zu: ~ Ach, meine Schwester! Ach, Schahrasad, erzähle doch unserem Herrn, dem König, deine schönen Geschichten!
~ Einverstanden, erwiderte sie. ~ Und so, mein Gebieter, geht die Geschichte weiter:
Suleiman Ibn Abdalmalik trat aus dem Zelt von Scheich Bâsit al-Liwâ und begab sich zu seinem Heer. Sowie er näher kam , sprang der Wachtposten auf ihn zu. Suleiman sprach ihn an, der Wachtposten erkannte ihn und küsste sogleich den Erdboden vor ihm. Jetzt kamen seine Brüder und Freunde auf ihn zu und scharten sich um ihn. Er wies Dschâbir Ibn Dschâbir an, an seiner statt gegen das Mädchen zum Zweikampf anzutreten. Noch vor dem Morgengrauen begab er sich wieder in Bâsit al-Liwâs Zelt. Am Morgen ordneten sich die Schlachtreihen, die Mauern der Stadt belebten sich, Ballisten und Katapulte wurden aufgefahren, Bogen wurden gespannt und Pfeile verteilt. Die Männer trugen unterschiedliche Schilde von Davids Art und hatten sich Helme wie die Kämpfer vom Stamme Âd auf die Köpfe gesetzt. Sie hielten Speere und Lanzen aufgepflanzt und hatten indische Schwerter umgeschnallt. Auch König Namarîk ordnete sein Heer und seine Gefährten und rüstete sich zum Krieg.
So stand es mit ihnen, als sich plötzlich das Schlosstor öffnete und das Mädchen herauskam. Sie ritt auf einer schwarz und weiß gescheckten Stute mit langem Hals. Schnell preschte die Stute voran, wobei sie alles zermalmte, was ihr unter die Hufe kam. Das Mädchen aber sah grimmig aus in ihren Waffen. Sie trug zwei Schilde von Davids Art und auf ihrem Kopf einen Helm wie vom Stamme Âd, mit purem Gold überzogen. Darüber hatte sie drei Turbane geschlungen. Mit zwei indischen Schwertern war sie gegürtet, und in der Hand hielt sie eine Lanze. Sie blieb auf dem Kampfplatz stehen. «Ihr Scharen von Rittern!», brüllte sie. «W o ist der, der für sich selber einsteht? Wo ist Suleiman Ibn Abdalmalik?»
Sie hatte noch nicht zuEndegesprochenundihreRedenochnichtbeschlossen,dawarschonDschâbirIbnDschâbirzuihrherausgetreten,undsielieferteihmeinenKampf,vondemselbstkleineKindergraueHaarebekommenhätten.ErwandtesichzurFluchtundgabsichgeschlagen. Sie aber drosch noch mit der Lanze auf sein Haupt ein ,so lange,biserwiederinseinerTruppeverschwundenwar.NunkehrteauchsiezurückinihrSchloss und ließ nach Asad Ibn Âmir schicken .EshattesienämlichdieSelbstgefälligkeitgepackt.«Na,wassagstdunun,meinHerrAsad?»,sagtesiezuihm,sobaldereingetretenwar. «W oistdennnunseineTapferkeit,diedubeschriebenhast?Wahrhaftig,ichhabeihmeinenKampfgeliefert,vondemselbstkleineKindergraueHaarebekommenhätten!»
«Ich glaube nicht, dass es Suleiman war, der gegen dich gekämpft hat», gab Suleiman zurück. «Es war bestimmt nur irgendeiner seiner Männer. Wäre es Suleiman gewesen, so hättest du die größte Plage und das gewaltigste Unglück gesehen!»
Als sie ihn das sagen hörte , erhob sie sich, trat auf ihn zu und setzte sich direkt vor ihn. «Du wagst es, mir mit Suleiman zu drohen?», zischte sie. «Ich schwöre bei allem, worauf Edelleute schwören: Wärest du nicht Bâsit
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