101 Nacht: Aus dem Arabischen erstmals ins Deutsche übertragen von Claudia Ott nach der Handschrift des Aga Khan Museums (German Edition)
seiner Hand über seinen Kopf, und was fühlte er dort? Eine Kappe aus Palmwedeln! «Ich bin bestohlen worden, Beherrscher der Gläubigen!», empörte er sich .
Nun untersuchte auch der Kalif seine Hand, und siehe da! Ein Ring aus Rutenkraut steckte daran. Er warf ihn aus der Hand, griff zu seinem Schwert und stieß einen Schrei aus, von dem der ganze Palast widerhallte. Sogleich kamen die Sklaven, mit Keulen, Morgensternen und Schwertern bewaffnet, herbeigelaufen und durchsuchten den Palast bis in den letzten Winkel. Doch sie konnten keine Spur von dem Dieb entdecken. Darüber wunderte sich der Kalif.
Kaum dass der Morgen graute , ließ er seinen Herold in den Gassen der Stadt ausrufen: «Ihr Leute! Wer dem Kalifen erklären kann, was gestern in seinem Palast vorgefallen ist, dem wird seine Sicherheit verbürgt, und er erhält eine Belohnung von fünfhundert Dirham!»
Der Herold hatte noch nicht zu Ende gerufen, als schon der Dieb zu ihm heraustrat mit den Worten: «Ich werde dir und dem Kalifen erklären, was sich gestern in seinem Palast zugetragen hat!»
«Mein Gebieter», fing er an, nachdem er beim Kalifen vorstellig geworden war, «das und das hat sich in deinem Palast gestern abgespielt.» Als er mit seiner Schilderung am Ende war, gab er dem Herrscher seinen Ring zurück und Sahl seine Kalansûwa.
Der Kalif staunte über so viel List und Geschicklichkeit. Er aber entschuldigte sich beim Kalifen und verlieh seiner Reue Ausdruck.
Da verbürgte ihm der Kalif seine Sicherheit und beschenkte ihn reichlich. Auch ernannte er ihn zum Meister der Geschichtenerzähler und teilte ihm das Mädchen zu.
Und so lebte der Dieb fortan vergnügt mit ihr zusammen, aß und trank sich satt an den köstlichsten Speisen und Getränken, bis das sichere Ende sie ereilte.
Die Geschichte vom Königssohn und den sieben Wesiren
~ Die Leute behaupten, o König, fuhr sie fort zu erzählen, ~ dass es einmal einen König gab, den man Sayf al-Alâm, «Schwert der Notabeln», nannte. Er war ein mächtiger König. Die Großen achteten ihn, und die Kleinen waren ihm ergeben.
Dem König wurde kein Sohn geboren. Darüber war er betrübt. Er versammelte die Ärzte, Weisen und Astrologen, und sie stellten ihre Berechnungen an, warfen das Los und schauten in die Sterne.
«V erehrter König», sagten sie dann, «so Gott will, wirst du schon bald einen männlichen Nachkommen haben, an dem du dich erfreuen kannst.»
Der König nahm von nun an nur noch die beste Nahrung zu sich, so lange, bis ihm ein männlicher Nachkomme geboren worden war. Dieser Junge war so schön, dass es zu seiner ganzen Zeit keinen schöneren gab als ihn. Er richtete ein großes Fest aus, und die Menschen kamen und aßen, Sesshafte wie Beduinen.
Dann ließ der König erneut die Astrologen kommen und sprach zu ihnen: «Nun prüft den Aszendenten meines Sohnes.»
«Dein Sohn kann ein langes Leben haben», taten sie kund, «doch im Alter von einundzwanzig Jahren wird ihm ein großes Unglück widerfahren, und man muss fürchten, dass er dadurch zu Tode kommt.»
An dieser Stelle unterbrach das Morgengrauen Schahrasad , und sie verstummte. Der König erhob sich, entzückt von ihrer spannenden Geschichte, verschloss die Tür, versiegelte sie mit seinem Siegel und begab sich in seine Regierungsgemächer.
Die siebenundfünfzigste Nacht
~ Einverstanden, sagte sie. ~ Und so, mein Gebieter, geht die Geschichte weiter:
Der König wunderte sich über den Bericht der Astrologen. Er schickte seinen Sohn in die Lehrstube der Schreiber, bis er zwölf Jahre alt geworden war. Dann übergab er ihn einigen Studenten der Wissenschaften. Bei ihnen blieb er, solange es Gott gefiel.
Eines Tages erhob sich Sindbad der Weise, der sein eigener Lehrer gewesen war. «Majestät», sagte er, «diese Leute sind nicht geeignet, ihn weiterhin zu unterrichten.»
Dann wandte er sich an die Wissenschaftler. «W ie wolltet ihr ihn unterrichten?», befragte er sie, und ein jeder erklärte ihm, was er dem Königssohn beibringen wollte.
«Nein», hielt Sindbad ihnen entgegen. «Es muss anders gehen. Denn das Herz ist der König, und wenn das Herz nichts gelernt hat, lernt auch der restliche Körper nichts. Das Herz ist mit Moschus und Ambra zu vergleichen : Erst wenn man ihren Duft einsaugt, genießt der ganze Körper ihre Wirkung. Ebenso verhält es sich auch mit der Wissenschaft: Nur wenn sie das Herz erreicht, wirkt sie auf den ganzen Menschen.»
[Die Erziehung des Elefanten]
« Man hat mir
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