101 Nacht: Aus dem Arabischen erstmals ins Deutsche übertragen von Claudia Ott nach der Handschrift des Aga Khan Museums (German Edition)
berichtet , o König», fuhr er fort, «dass es einmal einen König gab, der Elefanten liebte. Einmal wurde ein junger Elefant für ihn gefangen. Er übergab ihn dem Elefantenwärter, damit dieser ihn abrichte und gut erziehe. Als der Elefant ausgewachsen war, fragte der König den Elefantenwärter nach ihm. ‹Er ist genauso geraten, wie du es dir gewünscht hast. Du wirst zufrieden sein, o König›, antwortete er. – ‹Dann möchte ich ihn jetzt reiten›, verlangte der König , ‹und zwar allein.› – ‹T u, wie es dir beliebt›, entgegnete der Elefantenwärter. Der König stieg auf den Elefanten. Sobald er sich auf seinem Rücken zurechtgesetzt hatte, ging der Elefant mit ihm durch, und er konnte ihn nicht mehr bändigen. Der Elefant wütete und tobte, bis der König vor Erschöpfung die Besinnung verlor.
Als er wieder zu sich kam, befahl er, den Elefantenführer zu töten. ‹Nicht so voreilig, Majestät›, beschwichtigte ihn der Elefantenführer. Und er holte ein Stück Eisen herbei, erhitzte es im Feuer, bis es weißglühte, legte es vor den Elefanten und sagte: ‹Fass!› Der Elefant fasste das Eisen. ‹Leg ab!›, befahl er, und der Elefant legte es wieder ab. ‹Siehst du, o König?›, sagte er nun zu ihm. ‹W as er mit seinen Füßen und seinem Maul zu tun hat, das habe ich ihn gelehrt. Doch sein Herz erreiche ich nicht.› Da behielt er ihn in seinen Diensten.»
An dieser Stelle unterbrach das Morgengrauen Schahrasad, und sie verstummte. Der König erhob sich, entzückt von ihrer spannenden Geschichte, verschloss die Tür, versiegelte sie mit seinem Siegel und begab sich in seine Regierungsgemächer.
Die achtundfünfzigste Nacht
~ Und so, mein Gebieter, sagte sie, ~ geht die Geschichte weiter:
Als Sindbad sein Gleichnis zu Ende gesprochen hatte, erhob sich der zweite Weise und sagte: «Ich werde diesem Jungen binnen eines Jahres beibringen, was er in zwölf Jahren nicht gelernt hat.»
Als der König ihn das sagen hörte, rief er wiederum Sindbad zu sich. «W ie lange würdest du brauchen, um ihn zu unterrichten?», fragte er.
«Ich würde es in einem halben Jahr so weit bringen, dass niemand in seiner Zeit klüger ist als er», versprach dieser. «Gelingt mir das nicht, so seien meine Hand und mein Fuß dir anheimgestellt.» Und er setzte hinzu: «In einem Land, wo kein Reicher und kein Armer, kein Wissenschaftler und kein Kaufmann wohnt, sollte niemand sich niederlassen. Alles aber, was ich erwähnt habe, ist in deinem Land vorhanden, Gott sei’s gelobt. Ich habe mir sagen lassen , Majestät, dass Könige wie Feuer sind. Hält man Abstand zu ihnen, so ist man in Sicherheit. Kommt man ihnen aber zu nahe, so verbrennen sie einen. Ich habe noch eine Bedingung zu stellen.»
«Und welche wäre das?», erkundigte sich der König.
«T ue keinem anderen etwas an, was du für dich selbst verabscheust», ermahnte er ihn.
«W er könnte denn so etwas einhalten?», gab der König zu bedenken .
«Du», erwiderte Sindbad.
Und nun setzte der König ein Schreiben für ihn auf, ließ es durch Zeugen beglaubigen und übergab ihm dann das Kind. Zuvor hatte er mit ihm genau vereinbart, in welchem Monat, zu welcher Zeit, an welchem Tag und zu welcher Stunde er ihn zurückbekäme.
Sindbad nahm den Jungen an der Hand und ging mit ihm fort zu seinen Gemächern. Dort ordnete er an, dass ein unterirdisches Gemach aus verschiedenfarbigem geflecktem Marmor für ihn errichtet würde. In Gips und Stuck ließ er dort alle Wissenschaften darstellen: die Grammatik, die Literatur, die Poesie und andere. «Dies ist dein Sitzplatz», wies er den Jungen an . «Hier wirst du alles lernen, was ich dir an diesem Ort aufgestellt habe.» Dann setzte er sich mit ihm dorthin und begann ihn zu lehren und zu unterrichten. Essen, Trinken und was sie sonst noch brauchten wurde den beiden gebracht.
Als die vereinbarte Frist verstrichen war , hatte das Kind alle Wissenschaften, in denen Sindbad es unterrichtet hatte, gelernt. Davon ließ Sindbad dem König Bericht erstatten, und der freute sich sehr darüber und bestellte Sindbad sogleich zu sich.
«Dein Sohn hat ausgelernt», meldete er dem König. «So Gott will, wird er morgen zu dir kommen, sobald vom Tage zwei Stunden vergangen sind.»
Als der König das hörte, wurde er sehr froh.
Sindbad aber kehrte zu dem Jungen zurück und sagte zu ihm: «Ich möchte dich morgen zu deinem Vater hinausführen. Darum muss ich heute Nacht in deine Sterne schauen.» Und als die Nacht
Weitere Kostenlose Bücher