1013 - Der Blut-Abt
genau würde hier so ablaufen, wenn wir im Kloster blieben und nicht durch seine Umgebung stöberten.
Bei mir kehrte zum Glück ein Gedanke zurück, den ich schon vor Betreten der Bibliothek gehabt hatte. Ich wandte mich direkt an Bruder Basil. »Wie ich hörte, sollen hier noch alte Aufzeichnungen früherer Äbte liegen.«
»Jaaa…«, bestätigte er zögernd, als wäre ihm meine Frage nicht so recht gewesen.
»Können wir Einblick nehmen?«
Basil wollte sich um eine Antwort drücken, deshalb kam ihm Frantisek Marek zuvor. »Sicher könnte ihr das. Irgendwo wird doch niedergeschrieben sein, warum und wieso hier alles passiert ist.«
Basil war überzeugt. »Gut«, sagte er.
»Kommen Sie bitte mit in mein Zimmer. Ich habe das Buch sicherheitshalber an mich genommen.«
Ich klopfte ihm auf die Schulter. »Das war eine sehr gute Idee von Ihnen.«
Ob er mir das abnahm, wußte ich nicht. Jedenfalls schaute er mich von der Seite her schief an.
Wenig später hatten wir die Bibliothek verlassen.
Die Uhr aber tickte weiter. Und das Verhängnis baute sich mehr und mehr auf.
Davon allerdings ahnten wir noch nichts.
***
Mit der unteren Hälfte des Körpers lag die Gestalt auf dem Pfad.
Die obere war im Schatten eines Steines versteckt. Ein grauer, ziemlich großer Fels, der sich in den schrägen Boden regelrecht hineingefressen hatte.
Die Gestalt war mit einer Mönchskutte bekleidet und lag auf dem Bauch. Es sah so aus, als hätte sie ihr Gesicht in den Erdboden hineingepreßt, denn von ihm war so gut wie nichts zu sehen. Unter dem Saum schauten die Füße hervor, die ziemlich verdreht aussahen. Die Arme hatte die Gestalt weit vorgestreckt, als hätte sie ihren Fall im letzten Moment noch abfangen wollen, was ihr jedoch nicht gelungen war.
Sie bewegte sich nicht.
Stunden waren schon vergangen. Und kein Mensch war über diesen Pfad gegangen. So war die regungslose Person unentdeckt geblieben, überschattet von den Kronen der Bäume, deren Wurzelwerk sich in den Boden regelrecht hineingefressen hatte.
Zeit verging. Hin und wieder bewegte ein Windstoß den Kuttenstoff. Er trieb manchmal noch altes Laub vor sich her, aber der Geruch des nahenden Frühlings konnte einfach nicht mehr vertuscht werden.
An einigen Büschen waren die Knospen bereits aufgesprungen, so daß sich die ersten Blüten zeigten und neugierig in die Welt hineinschauten. Dies in verschiedenen Farben. Vom satten Gelb, über ein dunkles Grün, bis hin zu Rosé oder Blaßrot.
Eines aber wäre aufgefallen. In einem gewissen Umkreis von der am Boden liegenden Gestalt sang nicht ein Vogel. Zwar zwitscherten die Tiere, doch sie hatten sich weit zurückgezogen. Weit weg von dem »Toten«. Zumindest sah er aus wie ein Toter.
Dann, es gab keinen äußerlichen Grund oder Anlaß, bewegte sich die rechte Hand plötzlich unter heftigen Zuckungen. Und die Finger kratzten dabei über den Waldboden. Die langen Nägel hinterließen Spuren im Boden. Ein altes, trockenes Blatt wurde knisternd zerdrückt.
Der Tote lebte.
Wer ihn von oben gesehen und sich dabei auf seinen Hals konzentriert hätte, dem wären die beiden eigentümlichen Wunden an der linken Seite sehr wohl aufgefallen.
Es lag nicht allein an den Bißstellen, sondern auch an den dünnen, roten Fäden, die aus den kleinen Wunden gelaufen waren und sich an der Halshaut verteilt hatten.
Der Vampir hatte diese letzten Tropfen nicht abgeleckt. Er hatte sich damit zufriedengegeben, einen Menschen in sein Reich zu holen, das er als normale Person nicht verlassen würde.
Bruder Titus erwachte!
Er schnellte nicht in die Höhe. Das offene Hineingleiten in die neue Existenz war mit dem Erwachen eines Menschen aus dem tiefen Schlaf zu vergleichen. Mit dem Kriechen von der Dunkelheit an die hellere Oberfläche.
Der Veränderte blieb liegen. Seine Hände lagen wieder still. Eingegraben in den Boden. Nun zitterte der Körper, und das war so etwas wie ein Startsignal für die unheimliche Gestalt, die an einer Schattigen Stelle lag und sehr düster wirkte. Der Tag war eigentlich nicht gut für Vampire, er gehörte zu den Geschöpfen der Nacht, aber er würde damit zurechtkommen müssen.
Titus hatte die Arme angewinkelt und die Hände gespreizt. Er drückte sie noch gegen den Boden, dann stemmte er sich langsam hoch, wie jemand, in den die Kraft nur scheibchenweise hineindrang. In einer knienden Stellung blieb die Gestalt zunächst und starrte mit gesenktem Kopf zu Boden.
Dann hob sie ihn an, als wolle sie der
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