1013 - Der Blut-Abt
immer. Das Vampir-Dasein sollte man ihm auf keinen Fall ansehen.
Außerdem gab es wohl kaum jemanden in den Reihen der Mönche, der über seine neue Existenz Bescheid wußte. Von Bruder Basil und Marek einmal abgesehen. Aber die beiden würde er nicht treffen, weil sie sich in die Kirche zurückgezogen hatten.
Er achtete dort nicht auf die heulenden Laute und auch nicht auf das Schreien, für ihn war das Eindringen in das Kloster wichtig. Die Tür stand offen, als wäre sie für ihn geöffnet worden, und der Vampir nahm die Einladung dankbar an.
Er tauchte ein in die für ihn jetzt fremde und durchaus gefährliche Welt. Seine Sinne waren gespannt. Er roch das Blut. Die Menschen befanden sich in seiner Nähe. Er hörte ihre Stimmen, er erfuhr, wie aufgeregt sie waren, denn er hatte die schmale Tür einer Wäschekammer nicht ganz geschlossen. Für ihn war es das ideale Versteck gewesen, da diese Kammer zentral lag.
Auf die Chance warten, das allein zählte für ihn. Er blieb im Halbdunkel stehen, was ihm auch guttat. In dieser schmalen Kammer hing kein Kreuz, dessen Kräfte ihn geschwächt hätten. Der Blutsauger sah es als einen großen Vorteil an, sich diesen Ort ausgesucht zu haben. Es klappte alles wunderbar, lief wie an der Schnur, und er hoffte, daß es so weiterging.
Kamen die anderen bald zurück? Wenn ja, wohin würden sie gehen? Er hatte keine Ahnung. Aber völlig planlos würden sie sich auch nicht bewegen. Die Wäschekammer lag an einer für ihn sehr günstigen Stelle. Wenn er die Tür etwas weiter aufstieß, dann schaute er genau gegen die Stelle, wo sich zwei Gänge kreuzten. Wer den schmaleren nahm, gelangte in die Gegend des Krankenreviers, wo jemand behandelt wurde. Es war ein schlichter, aber großer Raum, in dem drei Betten standen.
Um die Kranken kümmerte sich ein alter Mönch, der eine entsprechende Ausbildung erhalten hatte. Ein Mann, der genau wußte, auf was es letztendlich ankam. Operieren konnte er nicht, aber er verfügte über ein großes Wissen über Naturheilmittel, das hatte er schon oft genug bewiesen.
Titus wußte nicht genau, was sich in der Kirche abgespielt hatte.
Er konnte sich aber einen Angriff des Wolfs auf den Menschen vorstellen, und Pater Anselm würde gegen das Tier kaum eine Chance haben. Zumindest Verletzungen würden zurückbleiben. Und dann mußte er in das Krankenrevier geschafft werden.
Er baute darauf, sich nicht geirrt zu haben. Diese Annahme bekam er sehr bald bestätigt, als er Schritte hörte. Von der rechten Seite klangen sie auf, und von dort aus hatte auch er das Kloster betreten.
Er vergrößerte den Spalt, drehte den Kopf und bekam noch mit, daß der Chinese als erster das Kloster betreten hatte. Aus seinen Armen lag der verletzte Bruder Anselm.
Er trug den leise wimmernden und vor sich hinstöhnenden Menschen wie ein kleines Kind auf das Krankenrevier zu.
An seiner Seite ging Bruder Basil. Er war nervös, atmete heftig und redete hin und wieder auf Anselm ein.
Der Vampir rieb seine Handflächen gegeneinander. Er hörte die dabei entstehenden Geräusche, und hoffte, daß auch der zweite Teil seines Plans in Erfüllung ging. Er konnte nicht so recht daran glauben, daß der Chinese sich auch weiterhin im Krankenzimmer aufhalten würde. Wenn jemand den Verletzten bewachte, dann war es Bruder Basil, und mit ihm wurde Titus fertig, denn er war stärker, viel stärker.
Als Risiko blieb der Sanitäter. Ein älterer Mitbruder, zwar mit Wissen gesegnet, aber nicht mit körperlicher Kraft. Auch er würde leicht überwältigt werden können.
Alles war eine Sache der Einteilung.
Aber die Gier nach dem Blut verstärkte sich. Dem Widergänger wurde beinahe schwindlig, als er den Chinesen zurückkommen sah.
Der Mann machte auf ihn keinen guten Eindruck. Er ging sehr langsam, schaute sich immer wieder um. So wie jemand, der Verdacht geschöpft hat.
Titus hatte die schmale Tür zugezogen. Er sah nichts mehr, aber er hörte, wie der Chinese an seiner Kammer vorbeiging. Das tat ihm gut. Lange brauchte er jetzt nicht mehr zu warten. Er zählte bis zehn, dann öffnete er die Tür wieder so weit, daß ihm ein Überblick gestattet werden konnte.
Die Luft war rein. Es würde bestimmt nicht lange andauern, deshalb mußte er sofort etwas unternehmen. Er huschte durch den breiter gewordenen Spalt, stand im Gang, schaute sich nicht erst um, sondern schlug den Weg zum Krankenzimmer ein.
Das war sein Ziel, sein erstes, in dem ihm die Bewährungsprobe
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