1017 - Auf den Spuren der Bruderschaft
abgeleiertes Gebet.
Die Wand zu seiner Linken wich zur Seite. Von irgendwoher kam ein verirrter Lichtstrahl und umhüllte die Umrisse einer mächtigen Gestalt. Ein verzerrtes, zyklopenhaftes Auge glitzerte tückisch. Surfo fuhr zurück. Der Schwung trug ihn gegen die andere Wand. Es dröhnte laut, als er aufprallte.
Aus den Tiefen des Hauses kam ein keckerndes, seniles Kichern. Helligkeit flammte auf, Surfo, den Rücken gegen die Wand gepreßt, starrte in eine Nische auf der anderen Seite des Korridors, in der eine Statue stand, die eine Mißgeburt von einem Kranen darstellte: verwachsene Schultern, grotesk verkrümmte Arme, ein zahnloses Maul mit schlaff herabhängendem Unterkiefer und ein riesiges, triefendes Auge mitten auf der Stirn. Das Standbild war auf atemberaubende Weise lebensecht. Aber wie mochte es in der Phantasie des Künstlers aussehen, der es geschaffen hatte?
Das gespenstische Kichern kam näher. Am Ende des Gangs erschien eine zwergenhafte Gestalt, nicht einmal einen Meter groß, mit einem schmutziggrauen Pelz, aus dem büschelweise die Haare ausgefallen waren, so daß die nackte Haut wie große Schwären zutage trat. Das Wesen hatte einen scharfen, stechenden Blick. Ein verwachsener, gelblicher Nagezahn hatte die Unterlippe durchbohrt. Die Finger an den winzigen Händen endeten in Krallen, die schon seit Jahren die Schere nicht mehr gesehen hatten.
„Hat Zapelrow dich erschreckt?" fragte der alte Prodheimer-Fenke mit schriller, spöttischer Stimme.
Surfo musterte das Standbild und konnte sich eines Schauders nicht erwehren. „Zapelrow?" fragte er. „Du meinst, diese Statue stellt einen der Herzöge von Krandhor dar?"
Die Unterhaltung schien den Alten köstlich zu amüsieren. „Ich weiß es wirklich nicht - was die reine Optik angeht", antwortete er. „Ich habe nie das Vergnügen gehabt, einen der Herzöge zu sehen. Aber nach seinen Taten und Ansichten zu urteilen, müßte Zapelrow etwa so aussehen."
Es lag auf der Hand, daß Neriduur für die derzeitigen Machthaber von Krandhor keine übergroße Sympathie empfand. Surfo dagegen spürte wenig Neigung, sich auf politische Debatten einzulassen. „Ich bewundere deine Kunst", sagte er aufrichtig. „Aber dieses Ungeheuer flößt selbst dem Furchtlosesten Entsetzen ein, wenn es ihm in der Dunkelheit begegnet."
Der Prodheimer-Fenke wurde plötzlich ernst.
„Du bist Surfo Mallagan, nicht wahr, der Betschide?"
„Ja. Clazzence hat mich hier hergebracht."
Neriduur wiegte den Kopf. Surfo hatte noch nie zuvor einen Prodheimer-Fenken mit einer Halbglatze gesehen. „Hier hergebracht würde ich das nicht nennen", sagte er spöttisch. „Eher abgeladen."
„Du hast uns beobachtet?"
„Ja, und ich bin beeindruckt. Der Gardist hat euch nicht aussteigen sehen. Er wird Clazzence irgendwo weiter unten am Kanal aus irgendeinem Vorwand anhalten und feststellen, daß er sich auf der falschen Spur befindet."
„Es beunruhigt dich nicht, daß Clazzence verfolgt wird?" fragte Surfo.
Der Prodheimer-Fenke machte eine Ungewisse Geste. „Unruhe ist ein Bestandteil unseres Berufs. Und wenn ein Jäger wie Barkhaden im Lande ist, dann muß man froh sein, wenn man außer der Verfolgung weiter nichts zu erdulden hat. Oder wußtest du nicht, daß die Jäger mit Vollmachten ausgestattet sind, die ihnen erlauben, sich über die üblichen Prozeduren des Gesetzesvollzugs hinwegzusetzen?"
„Nein, das wußte ich nicht." Surfo wunderte sich über Neriduurs Gelassenheit.
Gleichzeitig aber wuchs seine innere Unruhe. „Ich habe mit Clazzence vereinbart, daß wir mit ihm zusammentreffen - du, meine Freunde, ich und die Masken."
Neriduur kicherte. „Der vorsichtige Clazzence. Immerfort in Angst, daß ihn jemand übers Ohr haut. Ja, ich weiß, wo wir ihn treffen können.
Die Masken! Willst du sie nicht zuerst sehen?"
„Wenn du sie bereitliegen hast, warum nicht?" erklärte Surfo sich einverstanden. In Wirklichkeit wäre ihm viel lieber gewesen, wenn sie sich so rasch wie möglich auf den Weg gemacht hätten.
Neriduur deutete auf eine Tür am Ende des Gangs. „Sie sind dort", sagte er. Er kam den Korridor entlang. Vor der Statue, die er Zapelrow nannte, blieb er eine Sekunde stehen.
Mit fast zärtlicher Hand strich er über die steinernen Falten des Gewands, in das der Unhold gekleidet war. Dazu sagte er: „Es tut mir leid, mein Freund. Aber ich verspreche dir, daß dein Nachfolger ebenso herrlich sein wird wie du."
Der Sinn dieser Worte wurde Surfo erst eine
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