1019 - Das Vampirfenster
Blutsauger getroffen zu haben. Ich hatte in der letzten Minute zuviel Streß erlebt, war deshalb nicht ruhig gewesen, so konnte es durchaus sein, daß ich den Blutsauger verfehlt hatte.
Aber er kam nicht mehr weiter.
Plötzlich brüllte er auf.
Dabei hielt er noch immer die hochkant stehende Kirchenbank fest, als wäre sie eine Stütze für ihn. Zwar blieb er stehen, doch durch seinen Körper rann ein starkes Zittern, als hätte er Schläge mit einer Peitsche bekommen.
Er schaffte es auch nicht mehr, die Bank zu halten. Sie war ihm zu schwer geworden. Seine Hände rutschten an den Seiten ab. Auch die Bank schwankte und fiel.
Nicht nach vorn, sondern nach hinten.
Der Blutsauger konnte sie nicht mehr halten. Er mußte ihrer Bewegung folgen, landete hart auf dem Rücken, und die Bank begrub ihn unter sich. Sie rutschte nicht von seinem Körper weg, er hielt sie noch mit beiden Händen fest, aber ich sah, wie die Füße nicht nur zuckten, sondern anfingen zu brennen.
Zumindest schwebte Rauch in die Höhe, dessen Geruch mich sehr schnell erreichte. Es stank widerlich nach verbranntem Fleisch, das urlange irgendwo gelegen hatte.
Ich ging auf ihn zu. Noch war ich nicht erleichtert, sondern verdammt angespannt. Er konnte nichts tun, ließ mich kommen, und ich räumte letztendlich die Bank von seinem Körper weg.
Jetzt lag er frei.
Das geweihte Silber der beiden Kugeln »arbeitete« in dieser alten Kreatur. Es setzte seine Kräfte gegen den Vampir ein, für den es keine Rettung mehr gab. Er starb in der Kirche, die er tatsächlich einmal beherrscht hatte, und das war gut so. Ich kannte nicht einmal seinen Namen, aber ich schaute zu, wie er sich allmählich auflöste.
Wie nicht nur die Füße anfingen, von innen zu brennen, denn dieses Feuer wanderte weiter durch seinen Körper und somit auf den Kopf des Blutsaugers zu.
Die Knochen in der Brust knackten zusammen. Ein öliger Schmier rann aus den Lücken hervor und verteilte sich stinkend auf dem Boden. Der Untote bewegte seinen Mund. Es sah bei ihm aus wie bei einem Fisch, der nach Luft schnappte.
Mein Blut hatte ihm nicht mehr genutzt. Er war erweckt worden, ich hatte auch nicht verhindern können, daß er Gilian Kyle zu einer Dienerin mutiert hatte, aber jetzt hauchte er sein unseliges Dasein aus.
Das Gesicht brach zusammen, als wäre es nach innen gezerrt worden. Die Haut war kurz zuvor brüchig wie alte und ausgetrocknete Rinde geworden. Sehnen rissen. Augäpfel wurden zerstört, und aus den Höhlen rann ebenfalls die stinkende Flüssigkeit.
Er war kein Mallmann gewesen, der sich gegen geweihte Silberkugeln resistent verhielt. Ein fast normaler Vampir, der in einer Zwischenwelt gelebt hatte und mit ihr zusammen in einem uralten Kirchenfenster eingeschlossen worden war.
Das war vorbei.
Ich atmete durch.
Es ging mir besser, wenn auch nicht gut, weil ich daran dachte, daß ich in eine Falle gelaufen war.
Aber das passierte jedem Menschen. Man ist eben nicht perfekt.
Blutige Schmiere und Asche sowie Knochenreste blieben zurück, als ich mich auf den Weg zum Ausgang machte.
Ein einsamer und leicht humpelnder Mensch verließ die Kirche.
Bei der Rutscherei über den Boden hatte ich mir die Kniescheibe leicht geprellt. Aber ich lebte, und der Vampir nicht. Das war wieder einmal ein Grund zur Freude…
ENDE
[1] Siehe John Sinclair Nr. 1018 »Die Spur der irren Luna«
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