1025 - Ich töte jeden Sinclair!
schielten.
Karen trug jetzt eine dunkle Jeans und einen hellen Pullover. Den Anorak zog sie nicht über und hängte ihn über den Arm, als wir das Lokal verließen.
Zwar war die Sonne noch nicht untergegangen, aber sie hatte sich hinter die Berge zurückgezogen und malte sie von der anderen Seite her an.
Wir waren mit dem BMW gefahren. Suko schloß auf und ließ uns einsteigen. Karen klemmte sich auf den Rücksitz. »Ich bin gespannt, ob dieser unbekannte Sinclair schon eingetroffen ist.«
»Damit könnte man rechnen«, sagte ich.
»Das hat sich aber nicht begeistert angehört.«
»War es auch nicht.«
Wir fuhren aus Lauder heraus. So etwas wie eine Abendruhe hatte sich über die Umgebung gelegt, aber sie strahlte nicht auf uns ab.
Ich fühlte mich nach wie vor nervös und wie unter Spannung stehend. Ich merkte auch das Kribbeln auf der Haut, was für mich kein günstiges Vorzeichen war.
Meine Gedanken drehten sich um diesen Sinclair. Noch einmal holte ich mir sein Aussehen vor Augen. Diese altertümliche Kleidung, das arrogante Gesicht, von einem grauen Haarpelz umschlossen. Der zynisch verzogene Mund, die harten Wangenknochen, die hochgezogenen Augenbrauen, das vorspringende Kinn – so sah jemand aus, der genau wußte, was er tat und welchen Weg er dabei einschritt.
Er war gefährlich. Er war rücksichtslos. Er kannte kein Pardon. Er hinterließ Leichen.
Suko bremste urplötzlich. Das Manöver riß mich aus meinen Gedanken, doch gleichzeitig bekam ich mit, wie sich meine Vorstellungskraft verselbständigt hatte.
Diese Person war kein gedankliches Gebilde mehr, sie stand plötzlich vor uns.
Auf der Straße.
Und sie versperrte uns den Weg!
***
Suko hatte im letzten Augenblick gebremst, sonst wäre der BMW noch auf diesen Sinclair zugerutscht. So aber kam er dicht vor ihm zum Stehen. Vom Rücksitz her hörten wir den leisen Schrei unseres Fahrgastes. Auch Karen war überrascht worden.
»Das ist er«, sagte ich nur.
»Ich hatte es mir gedacht, John.« Suko sprach ebenso leise, wie ich es getan hatte. »Was willst du tun?«
»Warte ab, was er tut.«
Sinclair bewegte sich nicht. Er hatte die Mitte der schmalen Straße eingenommen, hielt den Kopf leicht gesenkt, damit wir seinen arroganten Ausdruck keinesfalls übersehen konnten. Er traf auch keine Anstalten, den Weg freizugeben, dafür tat er etwas anders. Aus einer rechten Tasche holte er die Uhr hervor, die ich schon kannte. Er hielt sie an der Kette fest und ließ sie vor unseren Augen hin- und herschwingen. Bei jedem Pendelschlag verzog sich sein Gesicht mehr und mehr. Die Lippen zeigten ein breites Grinsen, wie bei jemand, der genau über die Zukunft Bescheid wußte.
Dann war Schluß.
Das Gesicht nahm wieder seinen normalen arroganten Ausdruck an, und einen Moment später – wir waren nicht einmal dazu gekommen, die Türen zu öffnen – zog sich Sinclair zurück.
Nicht wie ein normaler Mensch.
Er schwebte zum Straßenrand hin und sah dabei so aus, als würde er den Boden nicht berühren. Zwischen niedrig wachsenden Bäumen tauchte seine Gestalt unter und ward nicht mehr gesehen.
»Meine Güte, wer war denn das?« flüsterte Karen hinter unseren Rücken.
Suko schaute mich an. Er wußte, daß ich eine Antwort geben würde, und ich schüttelte leicht den Kopf. Damit war für ihn klar, daß ich Karen gegenüber die Wahrheit verschweigen wollte, und auch er zeigte sich einverstanden.
»He!« Sie tippte mir auf die Schultern. »Wer ist das gewesen? Oder habe ich mich geirrt?«
»Nein, das hast du nicht.«
»Kennst du die Gestalt, John?«
»Ich habe sie schon mal hier in Lauder gesehen, wenn du das meinst. Aber wer sie genau ist, das weiß ich nicht.«
»Der sah aber nicht aus wie ein Landstreicher. Eher wie jemand, der aus einem Film gekommen ist. Das war eine sonderbare Kleidung. Mich erinnerte das an ein Kostüm.«
»Vielleicht hast du ja recht«, gab ich zu.
Karen fuhr fort. »Allein, wie der gegangen ist«, flüsterte sie. »Das war doch kein normales Gehen, eher ein Schweben.«
»Nein«, sagte ich, »du hast dich geirrt.«
»Habe ich nicht, John, habe ich nicht. Ich habe es genau mitbekommen. Ich weiß auch, daß du mir etwas verschweigst.«
»Ach ja? Was denn?«
»Du willst nicht sagen, wer diese Gestalt gewesen ist. Du kennst ihn sicherlich.«
Ich zuckte die Achseln. »Nein, ich habe mich nicht mit ihm unterhalten.«
»Und auf mich wirkte er wie eine Gestalt, die uns bedrohen wollte. Sie wollte unseren Tod. Sie… sie …
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