1025 - Ich töte jeden Sinclair!
sich zurück. Die Schatten traten schärfer hervor. Der Baum vor dem Haus wirkte dabei wie ein Gemälde vor einem noch hellen und klaren Hintergrund.
Nebel würde es in der Nacht wohl nicht geben. Aber es würde kalt werden, zu kalt für den Monat Juli, aber von einem Sommer konnte man im mittleren Europa überhaupt nicht sprechen.
»Er hat alle Chancen bei diesem verdammten Treffen, John. Er kann seinen Plan in die Tat umsetzen. Er hat sie dann alle zusammen und wird ein Blutbad hinterlassen.«
»Nur, wenn er die Ruine erreicht. Damit das nicht geschieht, sind wir hier.«
»Du rechnest damit, daß er kommt?«
»Hundertprozentig.«
Suko schloß die Tür. »Dann können wir nur die Daumen drücken, daß du recht behältst.«
***
Karen Sinclair hatte das Bett noch nicht aufgeschlagen und sich auch nicht hingelegt. Sie war zum Fenster gegangen, stand davor, schaute hinaus und ließ sich die Worte ihres Namensvetters noch einmal durch den Kopf gehen.
Er hatte ihr geraten, das Fenster geschlossen zu halten, und das nicht ohne Grund. Er wußte mehr, er verschwieg ihr etwas, das spürte sie deutlich. Möglicherweise waren Frauen da mit einem besseren Instinkt ausgerüstet als Männer, aber sie konnte ihn auch nicht zwingen, das Wissen preiszugeben.
Nun hatte sich die Stimmung verändert. Schwer und bleiern hing sie über dem Haus, den Räumen und letztendlich auch über ihrem eigenen Kopf. Ja, sie war müde, aber nicht so kaputt, um den Abend und die folgende Nacht durchschlafen zu können. Sie würde irgendwann erwachen oder von John geweckt werden, wenn der andere kam.
Das Zimmer besaß einen Zugang zum Bad. Dort konnte sich Karen frisch machen. Sie überlegte, ob sie ihren wollenen Schlafanzug überstreifen sollte, entschied sich aber dagegen. Es kam ihr plötzlich sicherer vor, sich in der normalen Kleidung aufs Bett zu legen und eben nur die Schuhe auszuziehen.
Bevor sie das tat, ging sie zur offenen Tür und blieb auf der Schwelle stehen. Sie lauschte nach unten, aber irgendwelche Geräusche waren dort nicht zu hören. Zumindest keine fremden.
John und Suko saßen wahrscheinlich in der Küche beisammen und unterhielten sich. Mal hörte sie die Stimme des einen, mal die des anderen, aber sie konnte nicht verstehen, was gesprochen wurde.
Im Prinzip war es verrückt, was sie getan hatte. Sich einfach auf einen fremden Anrufer zu verlassen, auch wenn er ihren Namen trug, und sich in ein ebenfalls fremdes Haus locken zu lassen, um dort auf den Unbekannten zu warten.
Das war rational nicht nachvollziehbar, aber sie hatte es getan.
Wahrscheinlich aus Abenteuerlust oder aus irgendeiner Laune heraus. Etwas anderes konnte sich Karen nicht vorstellen.
Aber das Gefühl der Furcht war verschwunden. Zurückgedrängt, vielleicht auch weg, was sie letztendlich nur hoffen konnte. Der Abend und die Nacht würden lang werden, und sie fragte sich, ob sie die innere Ruhe hatte, überhaupt Schlaf zu finden. Die Müdigkeit war schon vorhanden, aber in den Schlaf zu fallen, dazu gehörte mehr. Eine innere Zustimmung, und die war nicht vorhanden.
Das Bettlaken fühlte sich kühl an, als Karen es anfaßte und anhob.
Es war mit einer Masse gefüllt, die sie bestimmt auch durchwärmte.
Sie legte sich hin.
Noch war es nicht dunkel. Von ihrer Position aus konnte sie gegen das Fenster und auch durch die Tür schauen, die offenstand. Sie warf einen Schatten auf den Boden. Eine Lampe stand in Greifweite, aber sie schaltete das Licht noch nicht ein. Karen blieb liegen und wartete auf die Schatten der Dämmerung, die bald durch das Fenster zu ihr ins Zimmer kriechen würden.
Lange Stunden lagen vor ihr. Eine Zeit der Unruhe, des Wartens.
Wenn sie sich vorstellte, jetzt allein in dem fremden Haus zu sein, überkam sie ein Schauer.
Die Zeit vertickte.
Das Fenster, vor kurzem noch in seinen Umrissen klar zu erkennen, schmolz immer mehr zusammen. Es wurde zu einem dunklen Teil der Wand, aber hinter der Scheibe zeichnete sich auch weiter die graue Landschaft ab, besonders hervorgehoben durch den Himmel, der für sie ein Meer mit Wolken war.
Der Besucher hatte keine Zeit genannt. Irgendwann würde er kommen und mit ihr reden.
Ein Sinclair! dachte sie. Ich bin eine Sinclair, er ist ein Sinclair, John und ein Sinclair, und jeder unterschied sich von dem anderen. Keiner war gleich. Sie alle hatten Wünsche, Hoffnungen, Träume und warteten darauf, daß sich vieles erfüllte.
Wie auch Karen!
Sie war vor zwei Wochen 31 Jahre geworden.
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