1029 - Evitas Folterkammer
uns. »Was ist, wenn er längst gestorben ist?«
»Er lebt noch!« behauptete Evita.
»Weißt du das so sicher?«
»Ja, ich kenne mich aus, denn ich habe Helfer, mit denen ich in Kontakt stehe.«
»Wer sind sie?«
»Meine Freunde, die Geister. Es sind diejenigen, die mit mir in Kontakt stehen. Sie haben mich auf den rechten Weg gebracht, sie haben mich geführt, und sie werden mich auch ans Ziel bringen, das kann ich dir versprechen.«
»Hast du meine Freunde vergessen?«
Evita Longine schaute uns an. Sie blieb dabei locker. »Nein, ich habe sie nicht vergessen, aber sie werden nichts ausrichten können, das weiß ich auch. Sollten sie versuchen, einzugreifen, ist Bruder Victor sofort tot.«
»Was sagt ihr?« fragte der Abbé.
»Wir gehen mit!« erklärte Suko.
»Bitte.« Noch immer gab sich Evita Longine so ungewöhnlich cool, als könnte sie nichts aus der Fassung bringen. Dabei wußte sie bestimmt über uns Bescheid, aber sie vertraute voll und ganz denjenigen Helfern, die aus dem Unsichtbaren erschienen waren.
»Wo müssen wir hin?« fragte ich.
»In die Tiefe!« flüsterte die Frau. »In meinen Folterkeller.« Sie war plötzlich eine andere Person geworden. Bisher hatte sie sich unter Kontrolle gehalten, nun aber übermannten die Gefühle sie. Da sie so dicht vor dem Ziel stand, hatte sie voll und ganz auf Sieg gesetzt. Sie war uns auch fremd geworden. Zwar stand sie in unserer Nähe, aber sie kommunizierte mit anderen.
Das sagte uns ihr Blick. Suko und ich kannten uns da aus. Diese Frau stand plötzlich unter einem anderen Einfluß, als wäre sie von irgend jemand übernommen worden.
Sie hatte von den Geistern gesprochen und auch davon, daß es zu Kontakten mit ihnen gekommen war. Jetzt konnten wir uns besonders gut vorstellen, daß dieser Fall eingetreten war, denn so stark konnte sich kein Mensch so schnell verändern.
Damit sie nicht ausweichen konnte, ging ich sehr schnell auf sie zu, faßte die Frau an – und schrak zusammen.
Ja, sie fühlte sich normal an. Ihre Haut war weich, aber zugleich auch eiskalt geworden.
Kalt wie die Haut einer Toten…
Suko sah mir mein Erschrecken an. Er zuckte zu mir herum und fragte: »Was ist?«
»Jemand steckt in ihr.«
»Wer?«
»Eine fremde Kraft. Sie muß ein Sammelbecken für die Geister der Getöteten sein. Ihre Haut ist kalt. Allerdings nicht so wie bei einem frierenden Menschen.«
»Man hat sie übernommen.«
»Das denke ich auch.«
Evita Longine hatte sich nicht um uns gekümmert. Sie konzentrierte sich auf den Abbé, der die Szene mit großer Skepsis beobachtet hatte, da er wußte, wer im Mittelpunkt stand.
Als sie sich abwandte, nickte er uns zu. »Es ist gut, ich werde mit ihr gehen.«
»Sei auf der Hut«, warnte ich ihn. »Diese Geister der Getöteten scheinen in ihr zu sein.«
»Wieso?«
»Ich weiß es auch nicht. Als ich sie anfaßte, was sie kalt. Keine Sorge, wir mischen ebenfalls mit.«
»Das weiß ich doch«, sagte er lächelnd und folgte Evita, die beinahe zwischen den hohen Ruinenklötzen verschwunden war und jetzt auf einen Stein kletterte. Von dort aus winkte sie dem Abbé zu.
»Komm, die Geister der Toten warten auf Rache. Komm zu mir, dein Grab wartet auf dich. Du hast lange genug gelebt und bist recht alt geworden. Jetzt sind andere an der Reihe.«
Bevor der Abbé ihren Platz erreicht hatte, war sie zu Boden gesprungen. Ging weiter, nicht einmal schnell, aber sie war plötzlich verschwunden. Ebenso wie der Abbé.
Suko und ich standen ziemlich konsterniert auf der Stelle. Weggeblasen waren sie bestimmt nicht. Es mußte also einen Zugang oder ein Versteck geben.
Wir verloren keine Sekunde und machten uns sofort auf den Weg.
Die alte Treppe war nur beim zweiten Hinsehen zu erkennen, da sie von einem dichten Wall aus Unkraut überwuchert war. Aber dort, wo die Stufen benutzt wurden, hatten Füße das Unkraut platt getreten. Wer die Treppe kannte, fand sie schnell. Sie hatte alles überstanden, und sie führte tatsächlich von einer stehengebliebenen Brandmauer hinab in eine düstere Tiefe.
Wir waren dabei. Ungleichmäßige Spuren sorgten nur für ein langsames Vorankommen. Um uns herum verschwand die Helligkeit und tauchte uns ein in die Düsternis eines nach unten führenden Treppengangs.
Wir hörten auch die Stimme der Evita. »Freust du dich schon auf deinen Freund Victor?«
»Sollte er tot sein, wird es Ihnen schlecht ergehen!« versprach der Templer.
Darüber konnte die Frau nur lachen. Dann entstand ein
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