1031 - Donnas zweites Leben
Einige Frauen schrien ihm wütende Worte zu. »Schickt ihn in die Hölle! Schickt ihn zu seinem Meister! Der Teufel wartet! Er hat unsere Kinder verführt und verbrannt. Er ist ein Satan, ein Unhold, er ist selbst der Teufel. Sein Bruder hat recht, wenn er ihn verurteilt!«
Niemand hatte die Frauen unterbrochen, die sich bei ihren Worten abgelöst hatten.
Auch Donna und ich hatten sie verstanden, und wir drehten uns gegenseitig die Gesichter zu. Ich sah, wie Donna die Augenbrauen runzelte, und die Frage stand in ihren Augen, aber sie konnte nicht auf eine Antwort hoffen. Noch wußte ich zuwenig.
Donna ließ nicht locker. »Dann ist er wohl ein Verbrecher gewesen, nicht wahr?«
»Sieht so aus.«
»Und der Bruder?«
»Muß ihn verurteilt haben. Richter und Verbrecher. Beide entstammen einer Familie. Das war mir bisher neu, muß ich dir ehrlich sagen. Eine schöne Familie.«
Donna schwieg. Sie hatte mit sich selbst zu tun und auch mit ihrer Vergangenheit. Ich fragte mich derweil, wie lange diese Brücke noch halten würde und ob wir tatsächlich noch das Ende dieses Mannes namens Malcolm erlebten.
Inzwischen war er so nahe an den Pechkübel herangeschleift worden, daß er die Hitze spüren mußte. Zwei Wächter standen hinter dem Kübel und hatten dort zwei Seilhebel gelockert. Jetzt konnte der Kübel mittels Stangen bewegt und nach vorn gekippt werden.
Das heiße Pech würde sich über den am Boden liegenden Mann ergießen, der aber noch gehalten wurde, denn es kam mir so vor, als würden die Henkerknechte noch auf ein bestimmtes Ereignis warten.
Es war ziemlich still geworden, denn auch die Zuschauer hielten sich mit ihren Kommentaren zurück. Sie hatten das Interesse an Malcolm verloren und die Köpfe so gedreht, daß sie zu ihren in der Hitze liegenden Hütten schauen konnten.
Von dort mußte etwas passieren.
Es verging nicht viel Zeit, als der Hufschlag laut wurde. Donna und ich hörten ihn nicht, aber die Gaffer bekamen ihn mit. Schon sehr bald erschien der Umriß eines Reiters, der stolz und hoch aufgerichtet auf seinem Schimmel saß. Begleitet wurde er von zwei Soldaten, die hinter ihm ritten.
Der Mann war eine Respektsperson. Ich schätzte ihn auf etwa vierzig. Er trug sein Haar lang, aber gut gekämmt. Ein helles Hemd, eine schwarze Hose. Kein Wams, keine Jacke und auch kein Mantel bedeckte ihn bei dieser Hitze.
Er ritt langsam näher, und als er die ersten Zuschauer erreichte, verneigten diese sich.
»Wer kann das sein?« flüsterte Donna Preston mir zu.
Ich hatte einen bestimmten Verdacht bekommen und hielt damit auch nicht hinter dem Berg. »Das ist Malcolm.«
»Nein, der liegt doch…«
»Der andere, Donna. Derjenige, der den Malcolm, den wir kennen, verurteilt hat.«
»Der Richter?«
»Ich gehe davon aus. Richter und Bruder. Er ist gekommen, um zuzuschauen, wie der andere stirbt.«
»Das ist doch pervers.«
»Mag sein. Aber zu dieser Zeit kann es durchaus üblich gewesen sein. Was wissen wir schon davon?«
»Ja, da hast du recht.«
Der Reiter hatte sein Pferd leicht gezügelt. Mit langsamen Schritten bewegte es sich auf das Ziel zu. Erst kurz davor zog der Reiter die Zügel an.
Wieder verneigten sich die Soldaten vor ihm, was der Mann mit einer verächtlichen Bewegung abtat. Ein arroganter Typ, der als Richter seine Macht sicherlich auskostete.
»Es ist alles so geschehen, wie Ihr es verlangt habt, Euer Ehren«, wurde ihm gesagt. »Wir können mit der Strafe beginnen, wenn Ihr es wollt.«
»Nein, noch nicht.«
»Wie Ihr befehlt, Euer Ehren!«
Der Richter blieb im Sattel sitzen. Er schüttelte nur einige Male unwillig den Kopf, als Fliegen sein Gesicht umsummten. Danach streckte er den Arm aus und deutete auf den am Boden liegenden Mann. »Stellt ihn auf die Füße. Ich will meinem Bruder ins Gesicht sehen können, und er soll mich anschauen. Daß er noch nicht tot ist, habe ich gesehen. Also hoch mit ihm!«
Zwei Soldaten kamen dem Befehl augenblicklich nach. Sie zerrten den Verurteilten in die Höhe, der zwischen ihnen schwankte und unter den Achseln festgehalten wurde.
»Kannst du mich hören und sehen, Bruder?«
Der Verurteilte tat nichts, was den Richter wiederum ärgerte. »Du bist ein Malcolm wie ich, Terrence, aber du hast unsere Familienehre beschmutzt, denn du bist einen anderen Weg gegangen. Wir alle waren der Justiz verbunden. Wir haben gerichtet, und wir haben bestraft. Wir haben uns immer als gerecht eingestuft, und das mußten wir auch beibehalten, als man dich
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