1031 - Donnas zweites Leben
starke Hände den Mann vom Henkerkarren und schleuderten ihn zu Boden.
Regungslos blieb er dort liegen. Ein Bewaffneter bewachte ihn. Er hatte ein kurzes Schwert gezogen, stieß es über den Verurteilten hinweg nach vorn und bedrohte damit die Gaffer. Er brüllte ihnen zu, Abstand zu halten und nur nicht näher zu kommen.
Ich hatte die Worte mitbekommen, aber es war mir schwergefallen, sie zu verstehen. Sie waren in einem sehr alten Englisch formuliert worden, das zu meiner Zeit niemand mehr sprach und höchstens noch aus alten Büchern überliefert worden war.
Es verging Zeit. Wohin die anderen Bewacher verschwunden waren, hatten wir nicht mitbekommen. Bestimmt würden sie Vorbereitungen treffen, um diesen Malcolm zu töten.
Auch die Zuschauer hatten sich beruhigt. Es wurde nicht mehr geschrien, dem Gefangenen galten die bösen Blicke. Mütter hielten ihre Kinder fest und flüsterten auf sie ein. Einige Drohgebärden, die Malcolm galten, zählten nicht.
Und wir standen als unsichtbare Zeugen dicht dabei. Wir konnten durch die Gaffer gleiten, ohne selbst wahrgenommen zu werden.
Wahrscheinlich verspürten sie nicht einmal einen Hauch, wenn wir nahe an ihnen vorbeistreiften.
Ich merkte den leichten Ruck an meiner rechten Hand, und ich wußte, was Donna wollte. Ohne gestört zu werden, bewegten wir uns auf den Gefangenen zu und blieben dicht vor ihm stehen, direkt vor und neben dem Aufpasser, der auch uns nicht bemerkte.
Wir hörten sein heftiges Atmen. Er schwitzte stark. Entsprechend war auch sein Geruch.
Der Gefangene lag auf dem Bauch. Seinen Kopf allerdings hatte er zur Seite gedreht, um atmen zu können. Sonst wäre er wohl auf dem feuchten Boden erstickt.
Donna bewies Nerven. Sie schaute ihn sich genau an. Ein bärtiges, schmutziges und blutverkrustetes Männergesicht mit weit geöffneten Augen, in denen ein fiebriger Ausdruck lag. Er atmete röchelnd und stoßweise, als stünde er schon kurz vor dem Ableben. Sein Körper war abgemagert und geschwächt. Fliegen umschwirrten ihn, sie wurden vom Geruch des Blutes angelockt.
»Er kann mich nicht hören, John. Ich hätte so gern gewußt, wer er wirklich ist.«
»Vielleicht ein Verbrecher.«
»Warum sagst du vielleicht?«
»Weil man nicht sicher sein kann. Es besteht auch die Möglichkeit, daß er ein Ketzer gewesen ist. Oder einer, der versucht hat, mit dem Teufel einen Pakt zu schließen. Das alles müssen wir in Betracht ziehen. Die Zeiten damals waren hart, verdammt hart sogar. Aber das wirst du ja selbst wissen.«
»Ich habe darüber gelesen.«
Wir hörten Stimmen. Zumindest ich richtete mich wieder auf und drehte meinen Kopf in die Richtung, in die auch der zurückgebliebene Wärter schaute.
Seine Kollegen kehrten zurück. Wieder ritten sie neben einem Wagen her, der von zwei Pferden gezogen wurde. Ein Henkerwagen war es nicht. Diesmal stand etwas anderes auf der Ladefläche. Und zwar ein Kübel, der mit einer heißen Flüssigkeit gefüllt war und dessen Inhalt auch noch weiter erhitzt wurde, da der Kübel auf einem Eisenrost stand, in dem glühende Kohlen lagen. Ein transportabler Ofen. Ich hatte ihn noch nie zuvor gesehen, aber ich wußte, wie die Dinge weitergehen würden. Ich wußte auch, was sich in diesem Ofen befand. Es mußte heißes Pech sein, das schließlich über den Gefangenen gekippt werden würde, so daß er einen jämmerlichen Tod starb.
Der Kübel war nicht mit einem Deckel versehen. Er stand offen, und über der Oberfläche trieben leichte Rauchschwaden hinweg.
Ein scharfer und beißender Geruch wehte Donna und mir entgegen, als sollten wir bewußt daran erinnert werden, daß hier bald etwas Gräßliches ablief.
Einer der Wächter zerrte am Zügel des Karrengauls, so daß dieser stehenblieb. Dann ritt der Mann weiter und sprach mit seinem Kollegen, der bei Malcolm Wache hielt.
Was sie sagten, bekam ich nicht mit, doch die beiden machten einen zufriedenen Eindruck.
Sie zerrten Malcolm hoch. Selbst jetzt merkten wir nichts, und sie bemerkten uns nicht. Allein konnte sich der Mann nicht auf den Beinen halten, er mußte gestützt werden. Zu sehr war sein Körper durch Folter geschwächt worden. Erst jetzt fiel mir eine lange Wunde an seinem rechten Bein auf, wie von einem glühenden Stück Eisen hinterlassen. Sie war schon verschorft und sah aus, als wäre sie mit einer dicken Schimmelschicht überwachsen.
Sie schleiften den Mann vom Karren weg und auf den Kübelwagen mit dem heißen Pech zu.
Die Menge klatschte Beifall.
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