1038 - Der Seelen-Kerker
nicht gerechnet hatten.
Es war unser Feind!
Dieses widerliche Gesicht, das wir bereits einmal auf dem Videofilm gesehen hatten. Nur sah es jetzt anderes aus. Seine Glätte hatte es nicht verloren, nur die Starre war verschwunden. Es hatte sich jetzt verzerrt, es war in Falten gedrückt worden, obwohl man nicht von normalen Falten sprechen konnte, eher von dicken Wülsten, die sich auf den Wangen dicker abzeichneten als auf der breiten Stirn.
Böse Augen glotzten auf uns nieder. Ein Maul, das offenstand und aussah, als wollte es Gift spritzen. Wir spürten den Haß, der da auf uns »niederfiel«.
Ich konnte nur hoffen, daß ich diesen verdammten Geist durch die Aura meines Kreuzes eingefangen hatte. Leider wurde das Gefühl zerblasen, denn so plötzlich wie das Gesicht erschienen war, verschwand es auch wieder.
Ein letztes Zucken, und es war nicht mehr da.
Nur noch die normale Decke lag über uns, und kein Fleck wies daraufhin, daß sich dort einmal die Fratze eines Monstrums abgezeichnet hatte.
Ich kontrollierte mein Kreuz sehr genau und suchte jedes kleine Detail ab.
Nichts war zurückgeblieben. Es glänzte nach wie vor. Keine dunkle Stelle, an der ich hätte Anstoß nehmen können. Es blieb das Kreuz so auf meiner Hand liegen, wie ich es schon immer kannte.
Der Abbé fand als erster die Sprache wieder. »Das habe ich doch nicht geträumt, John?«
Ich verzog die Mundwinkel. »Nein, das hast du nicht. Wir alle haben es nicht geträumt.« Ich ging auf ihn zu. »Da, schau dir das Kreuz an. Es ist wieder so wie immer.«
Auch Suko schaute zu. Er schüttelte den Kopf. Ich wußte, welche Frage kam und bereitete mich schon auf die simple Antwort vor.
»Hast du eine Erklärung, John? Ist so etwas mit deinem Kreuz schon mal passiert. Ich meine, wir haben ja nicht jeden Fall gemeinsam gelöst. Da kann dir schon etwas dazwischengekommen sein und…«
»Noch nie, Suko. Und wenn du jetzt weiterfragst, werde ich dir sagen, daß es für mich momentan keine Erklärung gibt. Ich weiß einfach nichts. Das ist alles.«
»Ja«, murmelte er. Er hob die Schultern. »Wenn ich ehrlich sein soll, komme auch ich nicht damit zurecht.«
»Wir müssen nur davon ausgehen«, meldete sich der Abbé, »daß dein Kreuz manipuliert worden ist, John.«
Das wollte ich nicht unterschreiben. »Tatsächlich? Meinst du das? Könnte es nicht anderes herum gewesen sein? Daß mein Kreuz uns eben auf dieses, sagen wir, Versteck hingewiesen hat? Du kennst es doch. Es hat gespürt, daß der Killer noch nicht verschwunden war. Es gibt ihn noch. Nazarius, der Giftmönch, ist da. Wir haben ihn zum zweitenmal gesehen. Ein Vorteil.«
»Zweimal stimmt!« erklärte Suko. »Nur konnten wir beide Male nicht eingreifen und das tun, was wir eigentlich hätten tun müssen. Ihn zu vernichten.« Er schaute gegen die Decke, wo nichts mehr zu erkennen war. »Wir haben ihn einmal auf einem Videofilm gesehen. Da ist er für uns nicht greifbar gewesen. Jetzt sahen wir ihn als eine feinstoffliche Gestalt, als Hologramm, das durch magische Kräfte entstanden ist, und wir müssen davon ausgehen, daß er auf zwei Ebenen existieren kann, was unseren Kampf nicht gerade erleichtert.«
Mit seinen Worten hatte Suko genau ins Schwarze getroffen und das Problem deutlich angesprochen. Dieser Nazarius war tatsächlich in der Lage, in zwei Welten oder auf zwei Ebenen zu existieren.
Zum einen stofflich und dreidimensional, zum anderen in einer Ebene, die jenseits unseres Verstandes lag, die es aber gab, wie wir aus eigener Erfahrung wußten. Wie unzählig die Welten und Dimensionen waren, in denen sich Dämonen und dämonische Geschöpfe aufhielten, war uns nicht bekannt. Vielleicht reichten da nicht einmal die Mathematikkenntnisse aus.
Bloch räusperte sich. »Es stellt sich jetzt die Frage, ob er es aus eigener Kraft geschafft oder ob ihm dabei jemand geholfen hat.«
»Du denkst an Hilfe?« fragte ich.
»Ja.«
»Wer?«
»Soll ich es allgemein sagen? Die Hölle. Der Teufel. Oder eben der absolut Böse.«
»Also Luzifer.«
»Du sagst es, John!«
Da konnte alles stimmen. Ich sprach auch nicht dagegen, aber überzeugt war ich nicht. Vielmehr glaubte ich daran, daß wir die Lösung in der Vergangenheit finden konnten, in der Zeit also, in der es den Giftmönch noch gegeben hatte.
»Er arbeitete für Rom«, sagte ich. »Er brachte Menschen um, die dem Klerus nicht genehm waren. Er war ein perfekter Giftmischer für andere. Auch für sich selbst?« Bei der letzten Frage
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