1038 - Der Seelen-Kerker
hatte ich meine Stimme erhoben. »Was glaubt ihr?«
»Kannst du das genauer definieren?« bat der Templer.
»Ich werde es versuchen, auch wenn es nur eine Theorie ist. Rom wollte ihn tot sehen, und wahrscheinlich hat dieser Nazarius versprochen, freiwillig aus dem Leben zu scheiden. Ich kann mir denken, daß es unter Zeugen geschehen ist.«
»Nahm er einen Gifttrank?« fragte Suko dazwischen.
Ich lächelte knapp. »Allmählich glaube ich daran. Er hat sich für sich selbst einen Trank zurechtgemixt. Leerte ein Glas oder einen Becher und starb vor den Augen dieser Zeugen. Das alles geschah in dem Kerker, in den dieser Bernard Gui zahlreiche unschuldige Menschen hat hineinwerfen lassen. Grab zu Grab. So mögen seine Häscher gedacht haben, ohne zu ahnen, daß sie von ihm reingelegt wurden. Der Trank mag giftig gewesen sein. Nur war er nicht so giftig, als daß er Nazarius den Tod gebracht hätte. Er kann ihn in einen tiefen Schlaf versetzt haben. Innerhalb dieses Schlafes ist es dann im Laufe der Zeit zu Veränderungen an seiner Gestalt gekommen. Der Körper veränderte sich. Er bekam eine andere Haut. Er verweste nicht. Er wurde resistent. Das alles kann so gewesen sein, wenn meine Theorie denn stimmt.« Ich hob die Schultern. »Wie gesagt, es ist nur eine Theorie.«
»Ich wüßte keine bessere«, sagte Suko und fragte den Templer:
»Was ist mit dir?«
»Vorerst stimme ich John zu.«
»Danke«, sagte ich. »Aber das bringt uns noch nicht weiter. Zumindest nicht hier.«
»Du willst in den Kerker?«
»Bleibt uns eine andere Chance?«
»Nein.«
»Und du kennst dich aus, Abbé. Du fährst mit. Wenn wir ihn tatsächlich hier in der Nähe von Paris finden, brauchen wir nicht weit zu fahren. Schaffen wir es denn vor dem Abend?«
»Das denke ich schon.«
»Okay, dann los.«
»Und was ist mit dem Toten?« fragte Suko. »Willst du ihn hier auf dem Bett liegenlassen oder…«
»Ja und nicht oder. Es geht mir gegen den Strich. Nur wenn wir jetzt die Mordkommission alarmieren, haben wir Probleme auf dem Hals, die wir nicht gebrauchen können, weil sie nämlich Zeit kosten. Deshalb sollten wir erst später Bescheid geben.«
»Das kann man akzeptieren.«
Auch der Abbé nickte. Er trat noch einmal an das Bett heran, um ein stummes Gebet zu sprechen. Suko und ich verließen das Zimmer und warteten auf dem Flur.
»Schaffen wir ihn, John?«
»Zweifelst du daran?«
»Eigentlich nicht. Mich hat nur die Reaktion deines Kreuzes beunruhigt. Sie kam mir vor, als wäre sie fremdbestimmt worden. Das beunruhigt mich.«
»Mich leider auch, Suko…«
***
Der Renault Megane stand noch so da, wie wir ihn verlassen hatten und ich gab den beiden Aufpassern noch ein zusätzliches Trinkgeld.
Danach mußten wir uns wieder in diesen schon frustrierenden Pariser Verkehr stürzen, der noch zugenommen zu haben schien.
Wir verließen Paris in östlicher Richtung, und diesmal fuhr Suko.
Neben ihm saß der Abbé, während ich es mir im Fond bequem gemacht hatte.
Natürlich drehten sich meine Gedanken und Überlegungen nur um diesen Fall, dessen Beginn praktisch bis tief zurückreichte in die Zeiten der Inquisition. Es war schaurig genug, daß dort etwas überlebt hatte, aber so etwas kannte ich ja. Fälle, die in der Vergangenheit ihren Ursprung besaßen, waren für mich nichts Neues. Schon oft hatte ich mich damit befassen müssen.
»Wie heißt der Ort, zu dem wir hinmüssen?« erkundigte ich mich.
»Grimon.«
»Nie gehört.«
»Ist auch klein«, erklärte der Abbé. »Mehr ein Dorf als eine Stadt. Da lebt man noch von der Landwirtschaft. Ich denke, daß sich seit vielen Jahren dort nichts verändert hat. Den Kerker gibt es noch, den Turm nicht mehr. Er ist irgendwann im Laufe der Zeit zusammengefallen. Das soll uns nicht stören.«
»Wie stehen denn die Menschen dort zu ihrer Vergangenheit?« wollte ich wissen.
Der Abbé lachte leise auf. »Das weiß ich nicht. Ich habe sie nicht fragen können.«
»Aber Alexandre Capus doch.«
Bloch drehte sich halb auf seinem Sitz herum, um mich anschauen zu können. »Deine Frage ist berechtigt, John, aber du kennst ihn und auch die Menschen in Grimon nicht. Ich bezweifle nicht, daß er seine Nachforschungen in Fragen gekleidet hat, die er ihnen stellte. Das kann ich nicht glauben. Wer so etwas vorhat, der muß einfach ein Forscher, ein Einzelgänger und auch irgendwie ein Besessener sein. Etwas anderes kann ich mir wirklich nicht denken. Sollte Capus jedoch Spuren hinterlassen haben,
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