1040 - Unheil über Kran
Nikkam verwundert.
„Ich habe kein Recht, eine Entscheidung des Herzogs vorwegzunehmen", antwortete Arzyria reserviert. Sie warf einen fragenden Blick in Musanhaars Richtung. „Es gibt Überlegungen, die nur Gu alleine anstellen kann. Es gibt verschiedene Dinge, die ..."
„Nikkam steckt tief genug in der Sache drin", kam der Arzt ihr zur Hilfe. „Ich glaube, es schadet nichts, wenn du ihn einweihst."
Arzyria sah zu Nikkam auf. „Die Begegnung der drei Herzöge an Bord des Nests der Ersten Flotte verlief bei weitem nicht so harmonisch, wie es der Öffentlichkeit dargestellt wurde", sagte sie.
Auf Nikkams Gesicht erschien ein spöttisches Lächeln. „Damit hängt vermutlich zusammen, daß die Öffentlichkeit nicht glaubt, was man ihr darstellte. Die Gerüchte sind überall zu hören. Die Herzöge Carnuum und Gu sind miteinander zerfallen, heißt es. Und wer die beiden im Verlauf der letzten Tage zu sehen bekommen hat, der weiß, daß das Volk recht hat."
„Ja. Aber die Sache geht tiefer. Die drei Herzöge fuhren zum Nest der Ersten Flotte, weil das Orakel sie dorthin bestellt hatte. Das Orakel beschuldigte sie, daß einer unter ihnen ein Verräter sei."
Die Eröffnung nahm Nikkam für eine Sekunde den Atem. Aber dann sah er, wie gut sie zu allem paßte, worüber er sich in den vergangenen Wochen nutzlos den Kopf zerbrochen hatte: das Mißtrauen, mit dem die beiden Herzöge einander bespitzelten, die hektische Aktivität der Nachrichtenspezialisten, das eifersüchtige Gerangel um die Aufstellung des Festzugs.
„Das Orakel", fuhr Arzyria fort, „äußerte sich nicht über die Form des Verrats. Es gab auch keinen Hinweis, welcher von den dreien der Verräter sein könne. Aber nach den jüngsten Ereignissen gibt es kaum mehr einen Zweifel, daß die Bruderschaft die Hände mit im Spiel hat. Du hast die Nachrichten verfolgt?"
„Ja", bekannte Nikkam düster. „Die Bruderschaft hat sich in einen der wichtigsten Nachrichtenkanäle eingeschlichen und verkündet, daß sie Carnuum untersützt."
„In diesem Licht betrachtet", sagte Arzyria, „gibt es keinen Zweifel mehr daran, daß Carnuum der Verräter ist und daß es sich bei seinem Verrat um ein Bündnis mit der Bruderschaft handelt."
Musanhaar machte eine unzufriedene Geste. „Ich wollte, ich könnte dir rückhaltlos zustimmen", sagte er. „Wenigstens wüßten wir dann, woran wir sind. Aber es gibt soviele Ungereimtheiten..."
„Ich kenne deine Bedenken", unterbrach ihn Arzyria. „Er hat einen Spitzel namens Vornesch angestellt, damit er auskundschaftet, ob irgendwo in der Unterwelt ein Attentat auf ihn selbst geplant wird, nicht wahr? Welches Wesen, das selbst einen Anschlag vorhat, würde so etwas tun? Es war auffallend, wie leicht es uns fiel, über Vorneschs Funktion zu erfahren. Meiner Ansicht nach wurde er, was diesen Teil seiner Aufgabe anbelangte, vorgeschoben, um uns zu verwirren. Dafür hat er seinen anderen Auftrag um so nachdrücklicher und gewissenhafter ausgeführt. Er war es, der das Attentat auf Gu inszenierte, und wenn ihn die Schutzgarde findet, wird er eine Menge von Fragen zu beantworten haben."
„Carnuum muß nicht unbedingt von Vorneschs Auftrag gewußt haben", hielt der Arzt ihr entgegen. „Es kann sogar sein, daß der Anschlag ursprünglich beiden Herzögen galt und daß Carnuum nur deswegen nichts geschehen ist, weil Nikkam rechtzeitig dazwischenkam. Und noch eines: wenn Carnuum tatsächlich mit der Bruderschaft unter einer Decke steckte, würde er dann ausgerechnet diesen Augenblick wählen, um damit an die Öffentlichkeit zu rücken? Unter der Bürgerschaft ist der Geheimbund nicht etwa ein angesehener und beliebter Verein."
„Ich gebe zu, daß ich mich daran selbst schon gestoßen habe", sagte Arzyria. „Aber ich bin eher bereit, anzunehmen, daß der Bruderschaft mit ihrer Erklärung ein taktischer Fehler unterlaufen ist, als zu glauben, daß Carnuum von Vorneschs Auftrag nicht wußte.
Ich muß davon ausgehen, daß Carnuum mit der Bruderschaft gemeinsame Sache macht.
Und das heißt wiederum, daß ich nichts Entscheidendes unternehmen kann, ohne von Gu dazu beauftragt zu sein."
Nikkam hatte der Unterhaltung nur mit halbem Ohr zugehört. „Unabhängig davon, wer von euch beiden recht hat", sagte er jetzt, „gibt es noch eine Spur, die wir verfolgen können."
Sie sahen ihn fragend an. Zu Arzyria gewandt, fuhr er fort: „Erinnerst du dich noch an die halb zerfallene Pyramide, die Irgillyn aufsuchte, um sich seine
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