1041 - Das Orakel
teilten sie sich in einen Schleier aus blauweißem Gischt, der fest in der Luft zu stehen schien, in Wirklichkeit aber ständig herabstürzte in die Brunnenpfanne und ständig erneuert wurde. An den Wänden hingen riesige Gemälde mit Motiven, die Faddon völlig fremd waren. Auf ihnen waren Wesen dargestellt, die wie Solaner und Betschiden aussahen, aber sie waren mit Tätigkeiten befaßt, die Faddon rätselhaft waren. Er warf Scoutie einen fragenden Blick zu, aber sie zuckte nur ratlos mit den Schultern. „Früher", bemerkte Konuk, der zum erstenmal Anzeichen von Zugänglichkeit zu erkennen gab, „ist das Orakel angeblich öfter in diesen nostalgischen Raum gekommen."
Der nostalgische Raum! dachte Faddon, eigenartig berührt. Was für ein seltsamer Begriff. „Und warum kommt es jetzt nicht mehr her?" erkundigte sich Scoutie.
Sofort wurde Konuk wieder verschlossen. „Weil es nicht dazu in der Lage ist", sagte er abweisend.
Bei dem Bemühen, die Lichtquelle zu entdecken, die einen Regenbogen über den Gischtschleier oberhalb des Brunnens zauberte, machte Faddon eine erstaunliche Entdeckung.
Der Raum besaß keine Decke!
Ein Schacht mit quadratischem Querschnitt führte bis zur Spitze des Wasserpalasts hinauf. Faddon begab sich zu einer Wand, so daß er an den drei Fontänen vorbei in die Höhe blicken konnte. Er sah einen Ausschnitt des Himmels von Kran, wie durch ein Teleobjektiv scheinbar zum Greifen nahe herbeigeholt und doch unendlich fern. Ein winziger schwarzer Punkt bewegte sich über das tiefdunkle Blau des Abendhimmels.
Faddon wußte, daß es die Silhouette eines kranischen Beiboots war, aber für einen Augenblick hatte er die traumhafte Vision, einen Vogel über den Himmel von Chircool schweben zu sehen, und dieses Bewußtsein, etwas majestätisch und frei dahingleiten zu sehen, machte ihm seine eigene beengte Lage schmerzhaft deutlich und verursachte in ihm ein Gefühl der Verlassenheit.
Faddon versuchte sich vorzustellen, wer früher in diesen nostalgischen Raum gekommen sein mochte, um etwas von diesem Gefühl, daß er gerade erlebt hatte, in sich aufzunehmen.
Es mußte, dachte Faddon verständnisvoll, eine sehr einsame Existenzform gewesen sein. „He!" sagte jemand leise und stieß ihn sanft in die Seite. „Es geht weiter, du mußt die Trage mit Surfo darauf schieben."
Faddon blinzelte verwirrt, so weit war er sekundenlang der Realität entrückt gewesen. Er lächelte Scoutie, die neben ihm stand, aufmunternd zu, dann begab er sich an seinen Platz. Plötzlich wünschte er, Mallagan hätte diesen Blick in die Höhe tun können.
Unter der Führung Konuks gelangten sie in eine Halle, die mit Geräten und Bildschirmen vollgestopft war. Auch hier arbeiteten Orakeldiener, die den Ankömmlingen wenig Beachtung schenkten. Wenn sie ihre Arbeit überhaupt unterbrachen, dann nur, um Mallagan anzusehen.
Mallagan, immer wieder Mallagan! schoß es Faddon durch den Kopf.
Was verlieh dem Freund nur die Aura des Besonderen?
Faddon glaubte die Antwort zu kennen! Es waren die Spoodies - und sie machten Mallagan dem Orakel ähnlich.
Aber in welcher Weise? „Weiter als bis hierher", durchbrach Carnuums Stimme die Stille, „sind Zapelrow, Gu und ich niemals gekommen."
Bei der Erwähnung des Namens Zapelrow flog ein Schatten über sein Gesicht.
Gu richtete sich auf. „Diesmal ist alles anders", sagte er beinahe euphorisch. „Diesmal werden wir das Orakel sehen."
In ein paar Minuten, schätzte Faddon, würden sie sich im Zentrum des Wasserpalasts befinden und dort war - nach allem, was er gehört hatte - das Orakel.
Er spürte, daß seine Neugier zunehmend von einer schwer erklärbaren Furcht abgelöst wurde.
*
Wenn auch der gesamte Hofstaat in Auflösung begriffen schien, so gab es doch zwischen den Gruppen Gus, Zapelrows und Carnuums erstaunliche Unterschiede im Verhalten.
Offenbar hatten vor allem die Mitarbeiter Herzog Gus gelernt, selbständig zu handeln und zu entscheiden: natürlich waren auch sie untröstlich, jede Verbindung zu ihrem Herzog verloren zu haben. Zapelrows Bedienstete waren zum größten Teil bereits aus dem Tärtras verschwunden, die wenigen, die zurückgeblieben waren, hockten auf den Packen, zu denen sie ihre Habseligkeiten zusammengeschnürt hatten, in der großen Vorhalle des Palasts und sahen Syskal, Chyrino und Järva in einer Weise an, als erhofften sie sich endlich Hilfe von ihnen. Carnuums Höflinge wirkten bis auf wenige Ausnahmen kriegerisch und hektisch,
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