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1041 - Der Rächer

1041 - Der Rächer

Titel: 1041 - Der Rächer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jason Dark
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gnadenlos und schrecklich die Welt sein konnte. Charlene glaubte daran, es allein schaffen zu können. »Unser Pfarrer ist auch so alt«, sagte sie und ging noch einen Schritt nach vorn.
    Shannon wußte nicht, wie er sich verhalten sollte. Er war völlig durcheinander. Praktisch von einer Sekunde zur anderen war sein Plan auf den Kopf gestellt worden.
    Dieses Kind war wie ein Geist erschienen, wie vom Himmel gefallen. Ein Schutzengel, ein Hindernis für ihn, das er ebenfalls aus dem Weg räumen mußte.
    Ein Kind töten? Vielleicht niederschlagen und trotzdem noch seine Rache vollenden. Die Hand mit dem Feuerzeug hatte er bereits zur Faust geballt, um seinen Vorsatz in die Tat umzusetzen, als Charlene plötzlich den Kopf hob und ihn anschaute, als hätte sie genau gewußt, was er plante.
    Sie schaute ihn an.
    Er schaute zurück.
    Dieser Blick – dieser verdammte Blick. Diese Augen, die so klar waren, so unschuldig, die nichts von der Schlechtigkeit der Welt erfahren hatten. Shannon kannte den Blick. Mit den gleichen Augen hatte ihn auch seine Tochter angeschaut. Ja, es waren ihre wunderschönen klaren Augen.
    Plötzlich wurde ihm warm und kalt zugleich. Er hatte das Gefühl, vom Boden abzuheben. Jemand schwamm in seine Nähe, und dieser Jemand hatte sich über die Gestalt der kleinen Charlene geschoben.
    Es war Linda, seine tote Tochter. Sie und die blonde Charlene waren zu einer Person geworden. Und Charlene/Linda sprach ihn an.
    Er hörte die Worte, doch er verstand nicht, was da gesprochen wurde. Shannon war völlig von der Rolle. Er kam sich vor wie ein Mensch, der aus seinem eigenen Körper gefahren war und nun neben sich stand.
    »Linda…?«
    »Nein, ich bin Charlene, Mister.«
    Die Stimme war so weit weg und trotzdem so nah. Shannon stierte auf das Kind. Er bewegte seinen Mund, er wollte Linda – oder war es Charlene? – wegschicken, doch sie ging nicht.
    Der Lehrer brach innerlich zusammen. Die Gefühle hatten ihn zermürbt. Der Lappen fiel ihm aus der Hand, das Feuerzeug folgte, und beides blieb auf dem Grab liegen.
    Einen Moment später brach es aus ihm hervor. Shannon konnte nicht mehr an sich halten. Es mußte heraus, und er brüllte wie ein Stier. Es ging nicht anders. Sein Inneres revoltierte. Er kam nicht mehr mit sich selbst zurecht. Vielleicht war es auch sein Gewissen, er wußte praktisch nichts.
    Auf dem Grab konnte und wollte er nicht mehr bleiben. Seine Oberfläche war für ihn glühend heiß wie eine Ofenplatte geworden.
    Nichts hielt ihn mehr auf dieser Totenstätte.
    Patrick Shannon warf sich vor. Er rammte die im Weg stehende Charlene und warf sie um. Ihr Schreien interessierte ihn nicht mehr.
    Für ihn war der Friedhof zu einem Ort des Schreckens geworden, den er so schnell wie möglich hinter sich lassen wollte. Deshalb rannte er mit Riesenschritten weg. Er konnte nicht länger bleiben. Er mußte den Ort verlassen, das Kind war für ihn der Anstoß gewesen.
    So stürmte er wie ein Berserker los.
    Büsche, Grabsteine, die niedrig wachsenden Zweige und Äste der Bäume, das alles stellte sich ihm in den Weg. Hindernisse, die seinen Lauf aufhalten wollten, es jedoch nicht schafften. Er schlug nach ihnen, er taumelte, er fiel, und ein waagerecht wachsender Ast riß ihm die Mütze ab und streifte über seinen Kopf hinweg wie ein glühender Kamm.
    Trotzdem ließ er sich nicht aufhalten. Sein innerer Motor lief auf Hochtouren, und dies übertrug sich auch auf seine Bewegungen. Es war eine Welt, die ihm fremd geworden war. Er konnte sich nicht mehr beherrschen, er hatte nicht verloren, aber er hatte die Flucht ergriffen.
    Ein Grabstein ließ ihn stolpern. Im hohen Bogen fiel Shannon nach vorn, prallte gegen ein Kreuz und klammerte sich an den seitlichen Balken fest. Für einen Moment sah er dieses verwitterte Steinkreuz vor sich. Er dachte daran, daß er früher daran geglaubt hatte, doch heute lebte er in einer anderen Welt.
    Jetzt haßte er das Kreuz.
    Er warf sich zurück, kroch über den Boden, raffte sich wieder auf und lief weiter. Es glich schon einem Zufall, daß er den kleinen Ausgang nicht verfehlte. Er riß die Tür nicht auf, sondern kippte kopfüber über sie hinweg.
    Auf der anderen Seite kam er wieder auf die Beine, lief noch einige Schritte und blieb stehen, um sich zu orientieren. Im Moment war er durcheinander. Vor ihm wuchsen die Mauern der Kirche hoch. Ihr Grau vermischte sich mit der einsetzenden Dämmerung zu einem Bollwerk, das er nicht durchbrechen konnte.
    Er überlegte,

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