Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
1041 - Der Rächer

1041 - Der Rächer

Titel: 1041 - Der Rächer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jason Dark
Vom Netzwerk:
geschrien, gewinselt, gebetet und auch gefleht. Nichts hatte Shannon gelten lassen. Hier war er der Richter und der Henker in einer Person.
    Dieser alte Mann tat nichts von dem. Er schaute ihn nur an. Dieser Blick ging Shannon unter die Haut. Er war so traurig, zugleich auch enttäuscht, als hätte er das Vertrauen des Gefesselten ein für allemal verloren.
    »Sie… Sie wollen es wirklich tun?« flüsterte der Geistliche. »Sie wollen mich hier auf dem Friedhof im Schatten meiner eigenen Kirche verbrennen wie Abfall?«
    »Ja! Ja!« stieß Shannon hervor. »Das werde ich. Das muß ich tun! Ich bin der Rächer, verstehst du?«
    »Nein!«
    Shannon schüttelte den Kopf und lachte kratzig auf. »Auge um Auge, Zahn um Zahn. So steht es doch geschrieben im Buch der Bücher, nicht wahr?«
    »Ja, so steht es geschrieben«, bestätigte der alte Mann. »Aber es ist anders als wir Menschen immer annehmen. Glauben Sie es mir. Sie können es nicht wörtlich nehmen. Der Allmächtige hat in Gleichnissen gesprochen. Nur wir Menschen haben…«
    »Es ist mir egal, was wir Menschen haben!« schrie Shannon den Gefesselten an. »Es ist mir egal. Bei meiner Familie war es deiner Sippschaft auch egal!« Der rasende Haß stieg wieder in ihm hoch, und vor seinen Augen baute sich eine rote Wand auf, als bestünde sie aus zahlreichen Flammenzungen.
    In dieser Wand erschienen drei Gesichter. Sie lächelten ihm zu.
    Maureen, Linda und Wayne.
    Sie nickten.
    Es war das Zeichen.
    Sie hatten schon beim erstenmal genickt.
    Patrick Shannon hielt die Augen weit offen. Er war nicht mehr er selbst. Er war nur noch ein Körper, ansonsten hatte er sich in ein Produkt seiner Rache verwandelt. Noch war das Benzin nicht verdunstet. Ein Funke würde reichen.
    Shannon brachte das Feuerzeug in die Nähe des Tuchs. Ein Schnicken würde reichen und…
    »Was ist denn mit dir, Pfarrer Michael?«
    Eine Stimme. Eine Frage. Die Stimme eines Mädchens.
    Shannon vereiste für einen Moment. Er hatte die Person hinter seinem Rücken gehört. Einbildung oder nicht? Er wollte es genau wissen und fuhr herum.
    Vor ihm stand ein Kind!
    ***
    Ja, es war ein Mädchen. Er hatte sich nicht getäuscht. Ein Schulkind.
    Ungefähr zehn oder elf Jahre alt.
    Die Kleine trug blaue Jeans und einen roten Anorak. Auf ihrem Kopf saß eine bunte Strickmütze, unter deren Rand hellblonde Haare hervorschauten. In der rechten Hand trug sie einen länglichen Gegenstand, der auch Shannon nicht unbekannt war. Seine Schüler brachten ihre Blockflöten oft genug in diese Etuis eingepackt mit.
    Die Kleine hatte einen sehr wachen Blick. Sie reckte sogar ihr Kinn vor, als sie Shannon ansprach. »He, was tun Sie hier, Mister? Was haben Sie mit Pfarrer Michael gemacht? Außerdem stinkt es hier nach Benzin. Haben Sie es verkippt, Mister?«
    Shannon holte tief Luft. Es war ihm egal, daß sie stank. Er konnte nur immer wieder in das Gesicht der Kleinen schauen und hatte plötzlich das Gefühl, innerlich umgedreht zu werden. Dieses Kind, dieses unschuldige Mädchen, das so gar keine Furcht zeigte, erinnerte ihn plötzlich an ein anderes Kind, das er so wahnsinnig geliebt hatte.
    An Linda, seine Tochter.
    Auch sie war blond gewesen. Auch sie hatte blaue Augen gehabt.
    Und auch sie hatte manchmal einen roten Anorak und blaue Jeans getragen. Aber sie war es nicht. Sie konnte es nicht sein. Linda war tot, einfach tot.
    »Charlene – bitte, geh!«
    »Aber du bist doch gefesselt, Pfarrer Michael.«
    »Ja, ich weiß.«
    »Ich will dich losbinden!«
    »Charlene! Geh!«
    Kinder können stur sein, und das blonde Mädchen war stur. Es ließ sich nicht beirren. »Nein, ich bleibe. Was hat dieser schreckliche Mann mit dir getan? Er hat dich gefesselt. Ich binde dich los, Pfarrer Michael. Ich binde dich los!«
    »Du kannst es nicht, Kind! Du mußt weglaufen! Renn weg!«
    Charlene war stur. Sie ließ ihr Etui fallen und ging auf das Grab zu. Noch stand sie auf dem Weg, doch nach zwei Schritten hatte sie bereits den Rand erreicht. Es war ein breites, langes und auch altes Grab, auf dessen Erde feuchtes und fauliges Laub einen schmierigen Teppich gelegt hatte.
    Patrick Shannon hatte sich in den letzten Sekunden nicht eingemischt. Er hatte nur gewartet und wartete auch jetzt, als sich Charlene auf ihn zubewegte.
    »Du bist ein schlechter Mensch!« sagte sie. »So etwas tut man nicht. Er ist ein Pfarrer…«
    Sie hatte keine Angst und war davon überzeugt, genau das Richtige zu tun. Es hatte ihr noch niemand gesagt, wie

Weitere Kostenlose Bücher