1041 - Der Rächer
konnte mit den Worten nicht viel anfangen, es wurde leicht verlegen und errötete. »Na ja«, sagte sie dann, »wenn du meinst, dann ist jetzt alles in Ordnung.«
»Fast.«
Dieses eine Wort begriff sie nicht. Sie wollte auch nicht fragen, ob mehr dahintersteckte. Rückwärts ging sie weg, winkte noch ein paarmal und lief an der Kirche entlang hin bis zum Vorplatz, wo sie ihr Rad abgestellt hatte.
Der Geistliche aber merkte, wie seine Knie wieder weich wurden.
Er mußte sich gegen die Hauswand lehnen, um eine Stütze zu finden, denn eintreten konnte er noch nicht.
Die Umgebung schwankte wieder vor seinen Augen. Der Kreislauf war noch nicht in Ordnung. Mit zitternden Fingern holte er den Türschlüssel aus der Tasche und öffnete. Dahinter lag ein dunkler, kurzer und auch nicht eben breiter Flur. Die Zimmer des Pfarrers verteilten sich auf ebener Erde. Eine Treppe nach oben gab es nicht, nur eine schmale Stiege, mehr eine Leiter, die mit einer Dachbodenluke verbunden war.
Er machte Licht.
Alles hier war noch ziemlich primitiv, wie von vorgestern. Die Leitungen lagen nicht unter Putz, der Schalter stand ebenfalls vor und ließ sich noch drehen, wobei ein schnackendes Geräusch entstand.
Ein Kreuz hing im Flur an der linken Wand.
Jetzt nicht mehr.
Jetzt lag es auf dem Boden.
Der Pfarrer bekam einen Schreck. Plötzlich erfaßte ihn wieder der Schwindel. Er kam sich vor wie jemand, der den Boden unter den Füßen verliert.
War dieser Mensch in sein Haus eingedrungen, um ihm aufzulauern? Der Geistliche zwang sich zur Ruhe. Noch immer stank er nach Benzin, und dieser Geruch überdeckte alle anderen Gerüche.
Er sah nichts. Er hörte nichts. Die Tür am Ende des Flurs war geschlossen.
Dann hob er das Kreuz auf und hängte es wieder an seine alte Stelle zurück. Es sah nicht mehr so aus wie sonst. Jemand hatte es beschädigt und einen spitzen Gegenstand mehrmals in das alte Holz hineingerammt.
Der Geistliche überlegte, ob er die Flucht ergreifen oder ob er zuerst in sein Arbeitszimmer gehen sollte. Er wollte auch seine stinkende Kleidung ablegen und sich reinigen, aber das hatte Zeit. Zunächst mußte er sein Haus durchsuchen, und er vertraute dabei auf Gott, der ihm heute schon einmal geholfen hatte.
Hinter der Tür lag sein Arbeitszimmer, in dem er auch wohnte und kochte. Mehr als einen Raum brauchte er nicht. Sogar ein Bett hatte er dort aufgestellt.
Die Tür war geschlossen. Der Pfarrer schaute zu Boden, denn er suchte Spuren, die er aber nicht entdeckte, und das erfüllte ihn wieder mit Hoffnung.
Trotzdem schlug sein Herz schneller, und auch das Zittern konnte er nicht vermeiden. Er öffnete die Tür nicht normal, sondern schob sie vorsichtig nach innen.
Sie war alt, sie war schwer, und an diesem Abend empfand er ihr Gewicht als doppelt so stark.
Das Zimmer war düster. Nicht völlig dunkel. Innerhalb der Wände verteilte sich diese neblige Gräue, die alle Konturen zerfließen ließ, so daß er die einzelnen Wohnregionen kaum erkennen konnte.
Hervor trat der große Ohrensessel. Er stand so, daß seine Vorderseite von einem ins Zimmer tretenden Menschen gesehen werden konnte. Das war auch jetzt der Fall. Ein dunkler, recht hoher und auch breiter Gegenstand.
Aus ihm hervor hörte der Pfarrer die Stimme. »Komm ruhig rein, Michael, keine Angst. Und schalte das Licht ein, damit wir uns wenigstens sehen können.«
Der Geistliche blieb wie gebannt auf der Stelle stehen. Er hatte die Stimme gehört, er hatte jedes Wort verstanden. Dieser Mann hatte ihn auch geduzt, aber die Stimme selbst war ihm fremd gewesen, und sie gehörte auch nicht dem Mann, der ihn auf dem Friedhof hatte umbringen wollen.
»Na los, beweg dich, Alter!«
Der Pfarrer war über diesen Befehl irritiert. Die Stimme hatte sich schneidend angehört. Dort saß jemand, der genau wußte, was er wollte. Das machte ihm Angst. Ihm war auch klar, daß ein Fluchtversuch zwecklos war. Der andere war bestimmt jünger und auch sicherlich schneller als er.
Der Lichtschalter befand sich in Griffweite. Langsam kroch die Hand des Priesters an der Wand hoch. Sie fand den Schalter, drehte ihn, und es entstand wieder dieses »Klick«.
Die Lampe an der Decke wurde sichtbar. Es war eine flache Schale aus gelblichem Glas. Sehr hell wurde es nicht, aber das Licht reichte aus, um Pfarrer Michael den Mann erkennen zu lassen, der in seinem Sessel saß.
Es war ein Kollege.
Es war trotzdem ein Fremder.
Er trug die Kleidung eines Priesters, doch sein Gesicht
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