1044 - Die Braut des Engels
aus.
Suko blieb auf den Beinen. Das leichte Schwanken ließ sich noch ertragen. Es blieb auch, als er die ersten Schritte ging. Sehr vorsichtig, wie ein Kranker, der nach einigen Tagen zum erstenmal sein Bett verlassen hatte.
Es klappte besser als Suko es sich vorgestellt hatte. Um seine Lippen legte sich ein entschlossenes Lächeln. Er war nicht mehr down.
Er würde weitermachen. Er würde sich den Engelkindern stellen, und er würde alles daransetzen, um Lady Sarah, Jane Collins und auch John sowie Evita Munoz zu finden.
Es war kalt in diesem Raum. Zum erstenmal spürte er diese Kälte, die wie mit eisigen Fingerkuppen über seine Haut glitt. Die Lampe schaukelte leicht über seinem Kopf, so daß ihr Licht auch sich bewegende Schatten produzieren konnte.
Suko ging auf die Tür zu. In seinen Beinen lag das weiche Zittergefühl. Der Schwindel war nicht vorbei, aber er hielt sich in Grenzen.
Nur einen Kampf hätte Suko jetzt nicht durchstehen können.
Er war nach rechts gegangen, um sich der einzigen Tür zu nähern, die der Raum aufwies. Sie war ebenso grau gestrichen wie die Wände. Er hoffte, daß die Tür nicht abgeschlossen war und der entsprechende Schlüssel sich irgendwo befand.
Suko hatte Glück.
Er fand eine offene Tür.
Vorsichtig zog er sie auf. Der erste Blick nach draußen brachte nicht viel. Er schaute in einen kahlen Gang, sah aber auch einen von oben nach unten fallenden Lichtschimmer am Ende des Flurs.
Stimmen hörte er nicht. Er sah auch keine Menschen, und trotzdem wußte er, daß die Engelkinder nicht verschwunden waren. Für Suko stand fest, daß er sich in der Höhle des Löwen befand. Aber er war darauf gefaßt, sich diesem Raubtier zu stellen…
***
Kalim hatte sich sehr bald wieder zurückgezogen. Sarah und Jane blieben allein bei den Engelkindern zurück, die einen Ring um sie geschlossen hatten, kein Wort sagten und sie nur anstarrten. Die Frauen versuchten, die Blicke zu deuten und daraus zu lesen. Es war einfach zu schwer. Sie wußten zu wenig. Sie konnten sich auch nicht vorstellen, was in den Köpfen der Engelkinder vorging.
Während Jane überlegte, wie sie aus dieser Lage heil herauskommen konnten, war bei Lady Sarah schon wieder die alte Neugierde erwacht. Sie hatte sich wieder gefangen. Jane sah, wie ihr Kinn vorrückte, ein Zeichen, daß sie nicht mehr still bleiben würde und etwas unternehmen wollte.
»Wer war dieser Kalim?« fragte Sarah halblaut.
Die Frauen in den weißen Gewändern schauten sich an. Niemand fühlte sich für eine Antwort zuständig, und Sarah Goldwyn wiederholte ihre Frage. Diesmal lauter.
Eine etwas ältere Frau hob die Hand, als wollte sie Sarah ein Schweigegebot erteilen. Das Gegenteil traf zu, denn sie redete mit den beiden Frauen.
»Kalim ist etwas Besonders. Er ist unser Herr.«
»Ein Mann?« höhnte Sarah.
»Nein, er ist weder Mann noch Frau. Zugleich ist er beides. Er ist ein Engel, und er ist gekommen, um die alten Traditionen fortzusetzen.« Die Frau löste sich aus der Gruppe, um näher an Sarah heranzutreten. Die Haut war schon faltig. Die grauen Haare hatte sie streng nach hinten gekämmt. Dunkle Augen fixierten Sarah, die dem Blick nicht auswich und wissen wollte, was es mit den alten Traditionen auf sich hatte.
»Wir werden es euch sagen, obwohl ihr es eigentlich wissen müßtet, wenn ihr die alten Mythologien kennt, nach denen sich die Menschen früher gerichtet haben. Es gab sie schon immer, die Engel. Egal, zu welchen Religionen die Menschen gehörten, Engel waren überall vorhanden. Sie wurden verehrt, geliebt und manchmal auch angebetet. Sie sind einfach wunderbar und aus dem Gefüge des Himmels nicht mehr wegzudenken. Menschen können sie nicht erklären, können sie nicht sehen, aber durchaus spüren. Sie fühlen sich zu den Engeln hingezogen, und manchmal ist es umgekehrt. Da möchten die Engel Kontakt zu den Menschen haben. Auch sie brauchen Erfolgserlebnisse. Sie wollen erleben wie gut sie sind und wie weit die Verehrung geht. Deshalb zeigen sie sich den Menschen und geben ihnen somit einen Beweis ihrer Existenz.«
»Wie Kalim?«
»Ja, wie er.«
»Ist er etwas Besonderes?« fragte Sarah.
Die Frau verzog die Lippen zu einem freudlosen Lächeln. »Für mich oder für uns schon. Ob er auch in seiner Engelwelt etwas Besonderes ist, weiß ich nicht. Es kann aber sein, und wir rechnen auch damit, denn nicht jeder Engel schafft es, die Grenzen zu überwinden und sich den Menschen so intensiv zu nähern. Intensiver
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