104b - Die Braut der Bestie
sprachen der Kokuo und der Gefangene lange miteinander. Yoshitsune verstand kein Wort. Die Musik wurde schriller und lauter. O-Yuki wand sich in Schmerzen. Es konnte nicht mehr lange dauern, dann würde sie ihr Kind zur Welt bringen. Mein Kind, dachte Yoshitsune.
Die beiden Krieger, die sich mit nackten Oberkörpern vor dem Gefangenen hingekniet hatten, hoben plötzlich ihre Schwerter und rammten sie sich in den Leib.
Der Kokuo schrie etwas, und der Gefangene stieß sich die Klinge des Schwertes in den Bauch. Yoshitsune sah nur aus den Augenwinkeln, wie der Kokuo dem Gefangenen den Hinterkopf zudrehte.
Er ließ jetzt kein Auge mehr von O-Yuki.
Und im selben Augenblick, als der Gefangene sein Leben aushauchte, erblickte O-Yukis Kind das Licht der Welt - einen blassen Mond, der sich hinter einer schwarzen Wolke verkroch, als ob er das Grauen auf der Insel nicht mehr mit ansehen mochte.
Der Kokuo von Tokoyo begann gellend zu lachen.
Yoshitsune schüttelte sich. Er hörte, wie seine Schuppen scharrend gegeneinanderrieben. Die Gedanken an die Geburt seines Sohnes verursachten quälende Schmerzen in seinem Gehirn.
Plötzlich spürte er, wie das Reißen in seinen Eingeweiden wieder begann. Ohne daß er wußte, was er tat, erhob er sich und begann auf den immer kleiner werdenden Lichtpunkt in der Nacht zuzumarschieren.
Seine Gedanken glitten wieder in die Vergangenheit zurück, während er mit seinen kurzen, krummen Beinen unaufhörlich durch den Schnee stapfte.
Er hörte wieder die Stimme des Kokuo, als er sagte: „Bringt das Kind fort. Ihr wißt, wo ihr es hinzubringen habt. Legt es an den Lotosteich unter den Kirschbaum im Garten des Daymio Hatakeyama Yoshimune."
Zwei Samurais nahmen den Säugling auf.
O-Yuki stieß einen Seufzer aus. Sie hielt den Hozo-no-o, den Blumenstengel des Lebens, die Nabelschnur ihres Sohnes, in den Händen und machte keine Anstalten, die Samurais aufzuhalten. Yoshitsune hielt es nicht mehr aus. Er zerrte sein Schwert hervor und sprang auf den Kokuo zu. „Niemand gibt meinen Sohn weg!" rief er. „Gebt das Kind an seine Mutter zurück! Es ist mein Sohn. Ich werde jeden töten, der es wagt, es mir und seiner Mutter wegzunehmen! Auch dich, Kokuo!"
Es wurde still.
O-Yuki hob den Kopf. Sie blickte Yoshitsune an und schüttelte den Kopf.
„Es ist nicht dein Sohn, Yoshitsune", sagte sie leise. „Der Kokuo hat ihn gezeugt."
Yoshitsune starrte O-Yuki an. Sie sagte nicht die Wahrheit! Wollte sie ihn vor der Rache des Kokuo schützen?
Yoshitsune schrie wie ein Wahnsinniger. Sein Schwert pfiff durch die Luft auf den Kokuo zu. Dicht vor seinem feisten Gesicht schlug die Klinge Funken aus einer unsichtbaren Barriere, mit der sich der Kokuo umgeben hatte. Das Schwert wurde Yoshitsune aus den Händen gerissen.
Der Kokuo streckte die Hand vor. Es war Yoshitsune, als fahre ein Blitz in seinen Leib. Er sah plötzlich keine Menschen mehr um sich, sondern Tiere. Ein Kalb, ein Schwein und ein Reh. In seinen Eingeweiden begann ein unbezähmbarer Hunger zu wühlen. Er warf sich auf das Kalb und tötete es. Als wäre er selbst ein Tier, schlug er seine Zähne in das warme Fleisch.
Noch während er schlang, spürte er, wie seine Samurai-Rüstung barst und von seinem Körper flog. Die unbezähmbare Gier, die ihn gepackt hatte, war plötzlich gestillt. Es war ihm, als kehre er aus einer anderen Welt zurück. Seine Augen richteten sich auf das Tier, das er gerissen hatte, doch zu seinem Entsetzen lag nicht das Kalb vor ihm, sondern einer der Samurais.
Yoshitsune schrie.
Er wollte die Hände vors Gesicht schlagen, doch da sah er, daß es keine Hände mehr waren, sondern gekrümmte Klauen mit spitzen, langen Nägeln. Und statt Haut wuchsen rötliche Schuppen auf dem Handrücken und dem ganzen Arm.
Yoshitsune warf sich herum und jagte davon, bis er den kleinen Lotosteich erreichte. Keuchend beugte er sich vor und blickte in die spiegelnde Fläche, die vom Licht des Mondes erhellt wurde, der wieder hinter der schwarzen Wolke hervorgekommen war.
Der Anblick, der sich ihm bot, war entsetzlich. Er sah einen spitz zulaufenden Kopf, der halslos auf einem massigen Rumpf saß. Kopf und Rumpf waren mit einem schuppigen Panzer bedeckt. Die großen, lidlosen Augen leuchteten rot unter den großen Wülsten. Im offenen Maul blitzten weiße Zähne. Lang stachen die Eckzähne hervor.
Yoshitsune taumelte zurück. Er drehte sich um. Seine haßerfüllten Blicke trafen den Kokuo, der in diesem Augenblick wieder den
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