1050 - Die Nymphe und das Monster
du etwas hörst.«
»Nein.«
»Du siehst auch nichts?«
»Komm her und schau es dir an.«
Sie zögerte jetzt nicht mehr und blieb so nahe bei mir stehen, daß sich unsere Körper berührten. Grace war nervös. Sie atmete längst nicht so ruhig wie ich, sondern heftig und schnaufend. »Das… das … ich kann es einfach nicht begreifen, John. Dieser verfluchte Teich ist ihm wahrsten Sinne des Wortes verflucht.«
»Möglich, daß du recht hast.«
»Madge hat von diesen Nymphen gesprochen. Ich kann mir denken, daß sie sich für den Zustand hier verantwortlich zeigen. Ich kann es mir wirklich vorstellen.«
»Ich auch. Allerdings wäre es mir lieber, wenn wir sie herauslocken könnten, falls es sie tatsächlich gibt.«
»Das hat schon sehr überzeugend geklungen, John.«
»In meinem Job ist nichts unmöglich.«
Grace senkte den Kopf, um die Fläche besser überblicken zu können. »Kannst du sie denn locken, John?«
»Wie?«
»Du hast doch dein Kreuz…« Sie hatte so nahe an meinem Ohr gesprochen, daß mich der warme Atem traf.
»Das stimmt.«
»Dann starte einen Versuch.«
Daran hatte ich auch gedacht. Ich zog den Reißverschluß der dicken Jacke auf, drückte den Schal zur Seite, um freie Bahn zu haben und zog anschließend hinten im Nacken an der Kette, damit das Kreuz hochrutschen konnte. Die Handschuhe hatte ich zuvor abgestreift und sie in meine Taschen gesteckt.
Grace Felder schaute mir zu. Ihre Augen zeigten einen erwartungsvollen und auch leicht entsetzten Blick, während das Kreuz auf meiner rechten Handfläche lag.
»Spürst du schon was?«
»Nein, leider nicht.«
»Dann ist es vergebens.«
»Warte erst mal ab.« Mit dem Kreuz in der Hand bückte ich mich.
Ich wollte es zunächst nahe an das Wasser bringen und es dann hineinstecken.
Flach lag die dunkle Flüssigkeit vor mir. Auch als das Kreuz dicht darüber hinwegschwebte, passierte nichts. Kein Aufhellen, keine Bewegung, keine Dämpfe, die nach oben stiegen, und auch mein Kreuz »meldete« sich nicht. Es hatte noch immer die Wärme meiner Hand gespeichert.
Mit dem unteren Ende berührte es das Wasser. Es sah aus, als wäre dort ein kleiner Stein hineingeworfen worden. Wellen entstanden. Das Wasser war zudem bis gegen meine Hand gespritzt, so daß ich die Temperatur fühlen konnte.
Im Vergleich zu der normalen Kälte war das Wasser warm.
Richtig lau, aber das empfand ich nur so, weil der Temperaturunterschied eben zu groß war.
Ich zog das Kreuz zurück und richtete mich auf.
»Schade«, kommentierte Grace. »Ich hatte mir davon wirklich etwas erhofft.«
»Keine Sorge. Außerdem muß ich gestehen, daß mein Kreuz nun wirklich kein Allheilmittel ist, auch wenn es manchmal so scheint. Ihm sind ebenfalls Grenzen gesetzt, doch darüber sollten wir jetzt nicht diskutieren.«
»Dann… dann … ich will erst gar nicht daran denken. Dann sind wir ja wehrlos.«
Ich lächelte sie an. »So schlimm würde ich die Dinge nicht sehen. Es gibt schon noch einige Möglichkeiten.«
»Da lasse ich mich überraschen. Und jetzt, John?«
»Wollten wir uns nicht die Kirche anschauen und damit auch den Blutaltar?«
»Sicher, gern, immer.« Ich sagte es so locker, was Grace nicht verstand.
»Ich muß dir ehrlich sagen, John. Nach allem, was ich hier erlebt habe, rechne ich auch in der Kirche mit einer bösen Überraschung.«
»Warum? War die Überraschung hier böse?«
»Mein Gott, du mit deinen Spitzfindigkeiten. Im Prinzip natürlich nicht. Ungewöhnlich schon.«
»Warten wir ab.« Ich hatte meine Antwort mit ruhiger Stimme gegeben und legte ihr einen Arm um die Schultern. »Sollte es einen Grund für dieses Nicht-Frieren des Wassers geben, dann werden wir ihn finden. Darauf kannst du dich verlassen.«
»Dein Optimismus ist toll.«
»Aber immer doch.« Wir nahmen den gleichen Weg in umgekehrte Richtung. Ich schaute hoch zum Turm, der aufgrund seiner Größe den Namen kaum verdiente. Er kam mir vor wie ein klobiger Kanten und nichts anderes. Ich wollte mich auch nicht beeinflussen lassen, aber auf mir wirkte die gesamte Kirche nicht vertrauenserweckend. Das konnte an der düsteren Umgebung und zugleich der romanischen Bauweise liegen.
Nach wie vor waren wir allein. Allerdings konnte ich mir vorstellen, daß unsere Ankunft in Llangain schon aufgefallen war.
Denn Augenpaare gab es überall.
Wieder kam es mir so vor, als strahlten die Mauern noch einmal Kälte ab, die als eisiger Schatten über uns hinwegfuhr. Ich warf einen Blick zurück. Der
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