1050 - Die Nymphe und das Monster
Teich lag nach wie vor bewegungslos da. Es gab keine Welle, die sich auf der Oberfläche verlief.
Grace Felder hielt den Kopf gesenkt. Sie ging wie jemand, der tief in seine Gedanken versunken war. Bestimmt ging ihr einiges durch den Kopf.
Vor dem schmalen Portal blieben wir stehen. Spuren, daß jemand vor uns die Kirche betreten hatte und sich möglicherweise noch darin aufhielt, sahen wir nicht. Auf dem glatten Metall der Klinke schien sich die Kälte konserviert zu haben. Sie schimmerte, als wäre sie selbst ein gebogenes Stück Eis.
Grace schüttelte sich wie jemand, der plötzlich in kaltes Wasser geworfen wird. »Ich will nicht sagen, John, daß ich mich fürchte, aber seltsam ist mir schon zumute. Ich kenne, die Kirche ja. Ich habe den Blutaltar gesehen. Als ich sie betrat, da kam es mir gar nicht vor, als würde ich in eine Kirche kommen. Verstehst du?«
»Sondern?« fragte ich nur.
»In eine große Gruft«, flüsterte sie. »In eine klamme Gruft. Und es wird auch nicht viel wärmer als draußen sein, denn eine Heizung gibt es dort nicht. Das ist ein Eiskeller.«
»Wir schauen sie uns mal an«, sagte ich, legte meine Hand auf das eiskalte Metall der Klinke und zuckte zusammen. Es war so eisig. Die Haut schien daran festzufrieren.
Ich zog die Tür auf.
Begleitet von knarrenden und auch leicht quietschend klingenden Lauten betraten wir das Gotteshaus…
***
Ja, Grace Felder hatte mit ihrem Vergleich recht gehabt. Auch ich dachte im ersten Moment daran, eine große, düstere Gruft und keine Kirche zu betreten. Sie war eigentlich auch im strahlenden Sonnenschein nicht hell, dazu waren die Fenster viel zu schmal, wenn auch hoch, nun aber lag über dem Innern der Kirche ein düsterer Schleier wie ein sehr fein gesponnenes Netz, dessen einzelne Fäden durch die kalten Temperaturen zusammengehalten wurden.
Grace kam zu mir. Sie schlich, und ihre Sohlen schleiften über den Boden. Ich stand völlig ruhig an der rechten Seite des Taufbeckens, dessen Wasser ebenfalls zu Eis geworden war. Die Schicht verteilte sich als hellgrauer Kranz innerhalb der Beckenmulde.
Die Fenster malten sich als hellere Streifen ab. Selbst im Innern hatte sich eine Eisschicht über das Glas gelegt, damit noch mehr Licht gefiltert werden konnte.
Die Bänke verteilten sich in nur einer Sitzreihe. So existierte kein Mittelgang. An den Wänden hingen keine Bilder. Es brannten auch keine Kerzen, nur das Ewige Licht leuchtete weiter vorn wie ein ferner, rötlicher Stern. Ich ging davon aus, daß ich dort den Altar finden würde.
Den gleichen Gedanken verfolgte auch Grace Felder. Wieder wisperte sie dicht an meinem Ohr. »Wir müssen nach vorn gehen, John. Dort steht der Blutaltar.«
»Sehr gut.«
Sie war noch nicht fertig. »Links vom Altar befindet sich die Sakristei. Sie ist mit der normalen Kirche durch eine schmale Tür verbunden. Das habe ich alles feststellen können. Aber wichtig ist nur der Altar. Der ist wirklich im wahrsten Sinne des Wortes ein Opfertisch. Wer oder was dort geopfert worden ist, darüber möchte ich nicht einmal nachdenken.«
»Du denkst an das Schlimmste?«
»Weiß ich nicht. Ich habe nur mal über finstere Rituale der Kelten gelesen. Ob sie stimmen, das weiß ich nicht.«
»Höchstens bei den Druiden.«
»Klar, ist alles möglich.«
Das Warten hatte uns gutgetan. So hatten wir uns beide an die Umgebung gewöhnen können. Ich dachte wieder an den Begriff Blutaltar. Blut allerdings roch ich nicht. In dieser Kälte zwischen den Mauern schien überhaupt kein Geruch zu hängen.
»Willst du mit, Grace?«
»Sicher. Jetzt bin ich nicht mehr allein. Ich weiß nicht, ob ich die Kirche hier zum zweitenmal ohne Begleitung betreten hätte. Das ist mir schon unheimlich.«
Hindernisse auf dem Weg zum Altar gab es nicht. Wir konnten uns die Seite aussuchen, an der wir uns dem Ziel näherten und entschieden uns für die rechte.
In den meisten Kirchen empfindet der Mensch die Stille als andächtig. Hier aber war es anders. Hier konnte sie mir nicht gefallen.
Es lag einfach an der Umgebung und auch an meinen Gedankengängen, denn ein Blutaltar gehörte nun mal nicht in eine Kirche hinein. Hier sollte einer stehen.
»Siehst du ihn schon?« wisperte Grace.
»Ja, der dunkle Gegenstand.«
»Genau der. Er hebt sich deutlich ab. Er ist einfach nur eine flache Steinplatte, die auf einem Steingestell, sage ich mal, steht. Kein Schmuck, nichts. Völlig leer.«
»Wird er auch in der Messe gebraucht?«
»Das kann ich dir
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