1050 - Die Nymphe und das Monster
nicht unbedingt innerhalb des Altars stecken mußte. Warum sonst hatte er den Weg zum Teich eingeschlagen?
Die alten Trauerweiden schienen ihm mit ihren dünnen Zweigen entgegenzukommen wie Arme. Aber sie umfingen ihn nicht. Er tauchte in sie hinein. Wir bekamen mit, wie steif sie sich bewegten, als wären es tatsächlich harte Stäbe.
In unserer Umgebung war es still. Da der Pfarrer bereits die Gegend um die Uferregion erreicht hatte, hörten wir auch seine Schritte nicht mehr. Unter den Zweigen schimmerte der See wie ein großes, dunkles Auge. Noch bewegte sich nichts an der Oberfläche, bis wir das Klatschen hörten.
Don Carmacho hatte das Wasser betreten!
Damit hatten wir rechnen müssen. Trotzdem waren wir davon überrascht worden. Wir gingen auch schneller, denn die folgenden Sekunden würden wichtig werden.
Das schlechte Licht und die tiefhängenden Zweige der Bäume nahmen uns die Sicht. Den Veränderten nahmen wir nur noch als Schatten wahr, der sich immer mehr verkleinerte, je weiter er sich von uns entfernte und je tiefer er in den Teich schritt.
Ich räumte die kalten Zweige zur Seite, damit Grace Felder freie Bahn hatte. Hinter mir hörte ich ihr lautes Atmen. Vor Aufregung stieß sie gegen meinen Rücken, brachte mich etwas aus dem Gleichgewicht, und ich hatte Glück, nicht auf eine glatte Eisfläche treten zu müssen, so daß ich mich auf den Beinen halten konnte.
Es war alles klar. Wir hatten freie Sicht. Aber es war auch unglaublich. Der Pfarrer oder wer immer er jetzt war, ging tatsächlich auf die Mitte des Teichs zu.
Schritt für Schritt. Nach jedem Schritt sackte seine Gestalt tiefer, so daß er kleiner wurde.
»Das kann ich nicht fassen«, flüsterte Grace. »Nicht nur, daß der Teich nicht zugefroren ist, auch der Tote… verflixt, John, was hat er da zu suchen?«
»Der Teich lockt ihn.«
»Reicht dir das?«
»Nein. Ich denke, er wird von dem gelockt, das im Wasser steckt und das wir leider nicht sehen können.«
»Hast du denn einen Verdacht, John?«
»Nicht genau. Es kann irgendein Kelten- oder Druidengott sein. Ich bin da nicht sicher. Außerdem wissen wir einfach viel zu wenig darüber. Don Carmacho ist die Spur und sonst nichts.«
»Wir lassen ihn also entkommen.«
Ihre Worte hatten leicht enttäuscht geklungen.
»Ich glaube fest daran, daß er nicht für immer und ewig in diesem Teich verschwunden ist. Er wird wieder auftauchen. Erinnere dich daran, daß er so feucht gerochen hat. Er war schon einmal im Wasser. Er muß sich auf das, was nun folgt, vorbereitet haben. So jedenfalls könnte ich es mir vorstellen.«
Wir ließen die Gestalt nicht aus den Augen. Sie setzte ihren Weg unbeirrbar fort. Jeder Schritt brachte sie tiefer in den Teich hinein, dessen dunkles Wasser längst die Schulterblätter des Pfarrers erreicht hatte.
Dann sackte er weg!
Es sah beinahe komisch aus, wie er in die Knie glitt. Das Wasser schob sich dabei an ihn heran. Wellen gab es, und zwei, drei von ihnen überschwemmten den Kopf.
Don Carmacho war nicht mehr zu sehen. Das dunkle, unheimlich wirkende Wasser hatte ihn geschluckt.
Grace und ich standen wie zwei Ölgötzen am Ufer. Uns blieb nur noch, auf die Oberfläche zu schauen, die ihre Ruhe verloren hatte.
Wellen liefen jetzt hin und her, und wir hörten auch die typischen Geräusche, als sie dicht vor unseren Füßen gegen das Ufer klatschten.
»Das hat wohl keiner von uns gewollt, John – oder?«
»Im Prinzip nicht. Aber laß den Kopf nicht hängen. Ich bin sicher, daß dies hier nicht das Ende ist. Nein, das kann es einfach nicht sein. Es wird weitergehen.«
»Dann glaubst du an eine Rückkehr?«
»Bestimmt.«
Grace runzelte die Stirn. »Willst du hier so lange warten und irgendwann festfrieren?«
»Wenn es sein muß.«
»John, du bist nicht ganz bei Trost. Das kann verflixt lange dauern. Wer weiß, was da unten noch alles passiert? Wer da lauert. Ich habe mal weitergedacht. Den Altar hat man gefunden. Möglicherweise ist er nur ein Teil dessen, was in der Tiefe des Bodens verborgen liegt. Da kann durchaus eine ganze Keltensiedlung sein, auch unterhalb des Teiches.«
Sie sah mein nachdenkliches Gesicht und sagte mit leiser Stimme:
»Wenn ich dich so anschaue, habe ich das Gefühl, als wolltest du in den Teich hineintauchen.«
»Bei entsprechendem Gerät schon.«
»Zum Glück gibt es das hier nicht!« Ich lächelte innerlich über Graces Besorgnis, wobei ich mich weiter auf den Teich konzentrierte und mich bemühte, etwas zu
Weitere Kostenlose Bücher