1054 - Die Leibwächterin
zumindest den Teil der Stadt, der sehr dicht bewohnt war. Möglicherweise fuhren sie durch einige Außenbezirke, da allerdings kannte sich die Russin nicht so genau aus.
Es war einsamer geworden. Häuser, in denen Lichter schimmerten, standen weiter von der Straße entfernt, wie schwebende Inseln in einer nächtlichen Welt.
Costello gab sich entspannt. Das Essen hatte ihm geschmeckt, der Wein ebenfalls. Hin und wieder schloß er sogar die Augen und lächelte vor sich hin.
Karina überlegte, was wohl geschehen würde, wenn sie einen Revolver zog und ihn erschoß. Dann hatte sie London von einem Verbrecher befreit, aber sie würde ihres Lebens nicht mehr sicher sein.
Selbst in Rußland nicht, denn die einzelnen Verbrecher-Organisationen arbeiteten inzwischen international zusammen.
Sie gab sich gelassen. Hin und wieder schaute sie durch das Panzerglas der Fenster, ohne jedoch erkennen zu können, wo sie sich befanden.
Sie fuhren über eine schmale Straße. Überquerten zweimal Brücken. Einmal sah sie unter sich das Bett eines Kanals. Unter der zweiten Brücke schimmerten Schienen.
»Was denkst du?« fragte Costello plötzlich.
»Eigentlich nichts.«
»Du bist gespannt?«
»Das allerdings.«
»Wäre ich an deiner Stelle auch. Es ist bald soweit. Dann wirst du mit eigenen Augen sehen, wie die Gesetze dieser Welt auf den Kopf gestellt werden.«
Karina hob die Schultern. »Das ist mir zu allgemein.«
»Weiß ich.«
»Und Sie haben Macht über diese Veränderungen?«
Costello öffnete den Mund. »Nein, nicht direkt die Macht. Aber ich werde gestärkt. Die Zeit ist reif. Ich brauche etwas Neues, auch wenn es irgendwo etwas Altes ist. Aber der Anfang ist gemacht. Die neue Garde ist geboren.«
»Werde ich dann überflüssig?«
»Nein, im Gegenteil. Ich habe eine wie dich lange genug gesucht. Du wirst sie später führen.«
»Aha.«
Franco zog den Wagen wenig später in die Kurve. Karina hielt sich fest, weil sie nach rechts gedrückt wurde. Sie drehte dabei noch den Kopf, weil sie draußen etwas erkennen wollte.
Es war so gut wie nichts zu sehen. Nur für einen Moment das bleiche Licht der Scheinwerfer, das als blasser Teppich über den Boden hinwegglitt. Hinweg über Gras und auch über die Unebenheiten eines schmalen Wegs, der direkt in die Natur hineinschnitt.
Franco fuhr jetzt langsamer, damit die Schwingungen nicht zu stark wurden. Er nahm Rücksicht auf seinen Chef. Costello hatte beide Hände hart um die Lehnen des Rollstuhls geklammert. Seih Gesicht lag im Schatten, nur die Augen schimmerten. Er atmete stoßweise. Auch er machte keinen so ruhigen Eindruck mehr.
»Wir sind gleich da«, flüsterte er seiner Leibwächterin zu. »Dann wird sich alles auflösen.«
»Sie haben von einem Bunker gesprochen.«
»Kann man sagen.«
»Ein alter Bunker?«
»Er stammt noch aus dem Zweiten Weltkrieg. Ich habe ihn für meine Firma umgestaltet. Die meisten Menschen haben ihn vergessen. Ich allerdings nicht. Alte Bunker sind wichtig oder können wichtig werden.«
»Und was ist, wenn Fremde ihn entdecken?«
»Na und? Sie kommen nicht hinein. Ich habe ihn sichern lassen.«
»Auch von den Bullen?«
»Ach, die wissen nichts davon. Wenn sie mich in Ruhe lassen, dann lasse ich sie auch in Ruhe. In der letzten Zeit habe ich wenig von ihnen gehört. Wahrscheinlich halten sie mich für out. Sollen sie. Es kommt mir nur entgegen, so habe ich Zeit genug gehabt, meine Vorbereitungen zu treffen. Wobei ich zugeben muß, daß sich die Zeiten schon verändert haben. Es wird immer schwerer, allein zu regieren. Da ist man manchmal gezwungen, sich einen Partner zu holen, und das genau habe ich getan. Aber es ist ein Partner, wie man ihn nicht auf der Rechnung hat, weil es ihn eigentlich nicht gibt.«
»Darf ich wissen, wer es ist?«
»Du wirst ihn sehen!«
»Gut.«
Sie sprachen nicht mehr weiter, denn Franco hatte das Tempo des Wagens stark verringert. Ein Beweis dafür, daß sie sich dem Ziel endgültig näherten. Karina, die stets so cool war, spürte schon die Veränderung in ihrem Innern. Den Druck bildete sie sich nicht ein, der war einfach da und lastete schwer in ihrer Magengegend. Trotzdem versuchte sie, so gelassen wie möglich zu wirken, denn sie stand unter Costellos Beobachtung.
Das Fahrzeug hielt.
»Bleibt noch sitzen!« befahl Costello.
Bevor Franco ausstieg, drehte er sich um. »Ich schaue mich nur eben um.«
»Si – tu das.«
Er verließ den Wagen. Costello lächelte stärker. Er rieb seine
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