1054 - Die Leibwächterin
können. So gesehen schwamm sie wirklich in der Finsternis.
Franco bewegte sich durch die Dunkelheit, ohne die Lampe zu Hilfe zu nehmen. Sie lauschte seinen Schritten. Sie entfernten sich kaum. Blieben in der Nähe. Dann war nichts mehr zu hören. Franco hatte das Ziel erreicht und war stehengeblieben.
Die Leibwächterin hielt den Atem an. In den folgenden Sekunden würde das Geheimnis gelüftet werden, das stand für sie fest. Sie war angespannt wie jemand, der an der Startlinie steht.
Es wurde heller, aber nicht hell.
Unter der Decke glühten die roten Lampen auf, die in unregelmäßigen Abständen dort angebracht worden waren. Karina konnte sich keinen Grund vorstellen, weshalb dieser Tunnel durch rotes Licht erhellt wurde. Es war kein Bordell, eher ein großes Grab.
Franco kam wieder zurück. Er blieb an der anderen Seite des Rollstuhls stehen.
Niemand sprach. Costello hatte nur den Kopf gedreht, um Karina anschauen zu können. Er wartete ihre Reaktion ab und erlebt zunächst einmal eine sehr stumme Frau.
Auch Karinas Augen hatten sich zunächst an das Licht gewöhnen müssen, um überhaupt etwas erkennen zu können. Beim ersten Blick in den Bunker hinein war ihr nichts aufgefallen. Es war ihr vorgekommen wie die Sicht in eine Röhre.
Der aber verging.
Das weiche rote Licht fiel bis zum Boden, obwohl es sich auf dem Weg dorthin abschwächte. Aber es traf auch die drei Pritschen, die ihren Platz mitten im Gang gefunden hatten und dicht nebeneinander standen.
Sie waren nicht leer.
Auf jeder Pritsche lag eine Gestalt.
Karina sah sogar eine Frau. Da sie auf dem Rücken lag, hoben sich deren Brüste wie zwei kleine Hügel ab.
»Nun, Karina, was siehst du?«
»Menschen«, flüsterte sie. »Schlafende… Tote …?«
Logan Costello konnte sein Lachen nicht an sich halten. »Sehr gut, meine Liebe. Das hätte ich auch gesagt. Aber leider hast du unrecht. Es sind weder Menschen noch Tote.«
»Was dann?«
»Komm, wir schauen sie uns aus der Nähe an.«
Diesmal brauchte Franco den Rollstuhl nicht selbst zu schieben.
Der Mafioso schaltete den Elektromotor ein. Es war nur ein leises Summen zu hören. Einen Moment später fuhr der Rollstuhl sehr langsam an. Franco und Karina flankierten ihn. Je näher sie dem Ziel kamen, um so stärker pochte das Herz der Frau. Selbst mit ihrem Kreislauf schien nichts mehr so zu sein, wie es sollte. Sie fühlte sich nach jedem Schritt wie weggetragen.
Wladimir und John hatten recht behalten. Dieser Logan Costello paktierte mit anderen Mächten. Das mußte so sein. Verschiedene Begriffe huschten ihr durch den Kopf.
Personen, die nicht schliefen und trotzdem aussahen wie Tote – was waren sie?
Zombies?
Auch darauf war sie eingestellt worden, aber es gab einen Unterschied zwischen der Theorie und der Praxis.
Über ihren Rücken rann eisige Kälte. Druck lag hinter den Augen.
Immer näher kamen sie den drei Gestalten. Costello dachte nicht daran, seinen Rollstuhl zu stoppen. Auf dem glatten, betonierten Boden fuhr er wie geschmiert.
Dann war es soweit.
Der Stopp!
»So, Karina, jetzt kannst du dir deine Toten anschauen«, flüsterte er und kicherte dabei.
Sie nickte nur.
Nicht mehr als eine Schrittlänge trennt sie von der ersten Pritsche. Sie legte die Entfernung locker zurück, blieb dicht bei der Gestalt stehen und schaute in das bleiche Männergesicht.
Nur für einen Moment, denn dann glitt ihr Blick weiter, bis hin zu der reglos zwischen den beiden Männern liegenden Frau und dann weiter zur dritten Gestalt hin.
Auch das Gesicht glich den beiden anderen.
Aber sie waren verschieden. Und trotzdem besaßen sie eine Gemeinsamkeit. Die entdeckte Karina erst beim nochmaligen Hinschauen. Sie spürte den Stich, der ihr Herz erreichte. Bisher hatte sie sich für abgebrüht gehalten, für jemand, den nichts erschüttern konnte. Jetzt kam sie sich vor wie jemand, der auf einer Glasplatte steht, die allmählich zerknirscht und dann einbricht.
Sie wußte, daß zwei Augenpaare sie beobachteten. Mit schon übermenschlichen Kräften riß sie sich zusammen. Noch einmal konzentrierte sie sich auf die drei Gesichter.
Die Lippen waren leicht geöffnet, nur nicht so weit, um bis in die Rachen schauen zu können.
Das war auch nicht nötig.
Das Zittern strömte durch ihren Körper, als sie endlich die Gemeinsamkeiten erkannte.
Es waren die beiden spitzen Zähne, die ihnen aus den Oberkiefern wuchsen.
Da wußte Karina Bescheid.
Vor ihr lagen drei Vampire!
***
Logan Costello
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