1054 - Die Leibwächterin
niemals zuvor reagiert. So schrecklich gelähmt, nicht anders als eine wehrlose Puppe.
»Enttäuscht du mich etwa, Karina?«
Costello hatte die Frage mit einem leicht ironischen Unterton gestellt. Aber er hatte genau das richtige getan, um den Motor in Karina wieder zu starten.
Plötzlich war sie wieder da. Obwohl ihr die Luft knapp wurde, handelte sie wie ein Automat. Alles, was man ihr beigebracht hatte, kam nun zur Wirkung.
Die Arme fielen nach unten. Ihre beiden Hände griffen zu. Sie krallten sich jetzt in der Kleidung und auch am Körper der Gestalt fest. Schwach war Karina nicht, auch wenn ihr die Luft fehlte. Noch immer umklammerte die kalte Totenklaue ihre Kehle. Daran dachte Karina nicht. Sie konnte es im Moment nicht ändern. Dafür wuchtete sie den Körper der Untoten in die Höhe, gab ihr mit der Stirn eine Kopfnuß und schleuderte die Gestalt herum.
Sie selbst machte die Bewegung mit. Sie merkte, daß die Fliehkraft den Druck der Finger ein wenig gelockert hatte. Leider noch nicht ganz, doch dafür sorgte Karina.
Sie stellte die Untote für einen Moment auf die eigenen Füße und mußte sich dabei bücken. Dann packten ihre Hände zu. Sie wußte, wie man die Handgelenke eines Menschen brechen konnte. Das würde auch bei einem Vampir nicht anders sein.
Als sie es knirschen hörte, lockerte sich der Griff. Sofort nutzte die Russin die Gelegenheit aus und sprengte ihrerseits den Griff mit einer wilden Handbewegung.
Sie war frei – endlich!
Die Leibwächterin schnappte gierig nach Luft, während die Blutsaugerin zurücktaumelte und ihren Körper dabei durchschüttelte.
Karina spürte es naß an ihrem Hals entlang nach unten laufen und wußte, daß es ihr eigenes Blut war.
Menschenblut machte Vampire rasend, das wußte sie. Soweit wollte sie es nicht kommen lassen.
Sie mußte einfach schreien. Der Frust konnte nicht länger geschluckt werden.
Und diesmal war sie die Angreiferin. Bevor sich die Blutsaugerin wieder fangen konnte, hatte Karina sie gepackt. Tyra war nicht schwer. So wuchtete die Russin sie in die Höhe, und als sie über dem Boden schwebte, schleuderte sie das Wesen von sich.
Wieder schrie sie auf und schaute zu, wie der Körper gegen die Wand krachte.
Es war ein wuchtiger Aufprall, der Tyra durchschüttelte. Sie konnte sich nicht mehr auf den Beinen halten. Sie fiel zurück und brach in die Knie. Es wirkte wie ein Bündel Lumpen, das nach unten gefallen war.
Karina blieb nicht stehen. Sie huschte zur Seite, zog einen Revolver und legte auf Tyra an.
»Laß es sein, meine Gute. Es hat keinen Sinn. Vampire sind nicht mit normalen Kugeln zu töten.«
Karina atmete schwer. Sie hatte schießen wollen, auch wenn Tyra kriechend versuchte, Deckung zu finden. Ihr Weltbild war in den letzten Minuten völlig durcheinandergeraten. Sie hatte gewußt, daß es zu Konfrontationen kommen konnte, Wladimir und Sinclair hatten sie deutlich genug gewarnt, doch die Dinge in der Praxis zu erleben, war schon etwas anderes.
Vampire waren keine russischen Mafiosi. Sie waren überhaupt keine Menschen. Um sie zu erledigen, wurden spezielle Waffen benötigt. Da kam sie mit ihren Revolvern nicht zurecht. Mit einer entsprechenden Geste steckte sie die Waffe auch wieder ein, drehte sich und mußte einige Male tief durchatmen.
Die anderen Blutsauger lagen weiterhin auf ihren Pritschen. Sie hatten ihre Lage ein wenig verändert und die Köpfe angehoben, damit sie alles mitbekamen.
Ihr Blick traf Costello und natürlich auch Franco, der hinter seinem Boß stand und nach vorn schaute. Wie immer wirkte er wie eine Statue. In seinem Gesicht regte sich nicht. Wer ihn anschaute, konnte sich nur schwer vorstellen, daß dieser Mann überhaupt Gefühle besaß.
Tyra lag neben der Wand.
Karina mußte einfach hinsehen. Der Anblick dieses häßlichen Geschöpfs elektrisierte sie immer wieder. Sie ekelte sich davor. Es war für sie zu spüren, daß diese verfluchte Tyra alles Böse in sich vereinigte, was die Welt zu bieten hatte. Sie war eine Leiche, die lebte und trotz ihres noch menschlichen Aussehens für Karina an Scheußlichkeit nicht mehr zu überbieten war.
Erst das leise Lachen des Logan Costello riß sie wieder zurück in die Realität. »Du bist gut gewesen, Karina, sehr gut. Alle Achtung. Du hast die Feuertaufe bestanden. Vor kurzem hatte ich noch meine Zweifel, nun nicht mehr.«
Die Russin hob die Schultern. Sie mußte sich stark zusammenreißen, um beherrscht zu wirkten. »Was haben Sie sich denn
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