1071 - Die Urnen-Gang
sich vor. »Auch wenn alles bisher Theorie ist und ich Ihnen nicht sagen kann, was Sie tun und lassen sollen, John, ich möchte auf keinen Fall, daß Sie sich in derartige Gefahr begeben. Es wird sicherlich andere Möglichkeiten geben, um diesen Fall lösen zu können.«
»Wir werden sehen.«
»Außerdem brauchen Sie nicht direkt aufs Ganze zu gehen und ein Feuer anzuzünden. Sie können sich ja erst mal im Ort ein allgemeines Bild machen. Menschen sind immer neugierig. Wenn sich Blakes Hof außerhalb befindet, dringt immer wieder etwas durch. Davon bin ich einfach überzeugt.«
Ich nickte. »Gut, Sir, wir werden es dann an Ort und Stelle entscheiden.«
Damit war unser Besuch bei Sir James beendet. Er lächelte nicht, als er uns verabschiedete. Das kannten wir ja. Fast jeder Fall war für uns wie ein Gang in die Hölle. Irgendwann dachte man darüber auch nicht mehr nach, man hatte sich einfach daran gewöhnt.
Trotzdem grübelte Suko über meinen Vorschlag nach. »Du hast wirklich vor, dich verbrennen zu lassen?«
»Nein, nur mit dir zusammen…«
***
Ein Sommerabend. Nicht zu warm, nicht zu kalt. Die Sonne war unter einer Schicht aus bleigrauen Wolken verdeckt. Wir verließen den Rover, der in der Nähe des alten Bahnhofs stand und von einem Gestrüpp aus Brennesseln, Hahnenklee, Farnen und Brombeersträuchern gut geschützt wurde.
Der Bahnhof lag vor uns. Oder vielmehr das, was noch von ihm übriggeblieben war. An diesem alten und längst verlassenen Gebäude hatte der Zahn der Zeit heftig genagt. Die Pfannen des Dachs waren teilweise von irgendwelchen Stürmen zu Boden geschleudert worden. Sie lagen jetzt versteckt im hohen Gras.
Auch die Scheiben der Fenster gab es nicht mehr. Statt dessen gähnten uns viereckige Löcher entgegen. Wir gingen parallel zu den alten Gleisen, die nicht abgerissen worden waren. Die beiden Spuren malten sich noch auf der Erde ab, auch wenn Gras und hohes Unkraut darüber gewuchert waren.
Es war eine wirklich ländliche Atmosphäre. Der Ort Nackington lag zwar nicht zu weit entfernt, aber man hatte den Bahnhof damals schon außerhalb gebaut. Später war er dann nicht mehr rentabel gewesen.
Leichter Abendwind streichelte die Gräser und Blätter. Er ließ auch unsere Gesichter nicht aus, über die er mit seinem warmen Atem hinwegblies.
Insekten schwirrten in bizarren Tänzen durch die Luft. Vögel zwitscherten, und Menschen waren nicht zu sehen. Auch keine Kinder, die sich den Bahnhof als Spielplatz ausgesucht hatten.
Vor dem Gebäude blieben wir stehen. Die Gleise befanden sich hinter unserem Rücken, und man konnte sich schon vorkommen wie ein Western-Held, der auf den letzten Zug nach Gun Hill wartete.
»Normal?« fragte Suko.
»Sicher. Ich habe nichts Unheimliches oder Fremdes entdecken können. Was hoffentlich auch noch eine Weile so bleibt.«
Die Fassade bestand aus Backsteinen. Altes Gemäuer, dessen ursprüngliche Farbe nachgedunkelt war. An einigen Stellen zeigte sie sich auch vom Regen ausgewaschen, und es gab Lücken im Gemäuer, in die sich Unkraut festgeklammert hatte.
Einen Menschen hatten wir nicht gesehen und bekamen auch jetzt keinen zu Gesicht. Wir waren allein, kamen uns auch allein vor, und es gab für uns keinen Grund, an irgendeine Gefahr zu denken.
Hinter den ehemaligen Fenstern bewegte sich nichts. Unser Blick fiel hinein in eine leere Halle, in der es im Winter sicherlich kalt und zugig war.
Jetzt nicht. Die alte Tür war noch vorhanden, hing aber schief in den Angeln und sah so aus, als hätte jemand versucht, sie aus dem Gefüge zu brechen, dann aber aufgegeben.
Wir gingen auf die Tür zu. Dann mußten wir zwei mit Gras und Moos überwucherte Steinstufen hochgehen und blieben für einen Moment vor der Tür stehen.
Ich schaute als erster in die kleine Bahnhofshalle. Sie war natürlich menschenleer. Es standen noch einige Gegenstände dort herum, die ich allerdings besser sah, als ich die kleine Halle betreten hatte.
Der Ofen fiel mir sofort auf!
Er stand in der Ecke. Ein schwarzer Kanonenofen mit einem langen Rohr versehen, das bis zur Decke hinreichte und dort verschwand. Ich erinnerte mich, auf dem Dach auch einen Kamin oder einen kleinen Schornstein gesehen zu haben, aber das war jetzt nicht wichtig.
Suko hatte den alten Bahnhof hinter mir betreten. »Der Ofen«, sagte er, »also hat Haku nicht gelogen.«
»Ich hätte es ihm auch nicht zugetraut.«
Der Blick nach links zeigte uns die Schalter, hinter denen die Beamten gesessen und
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