1077 - Die Voodoo-Frau
so, als wären wir nie Feinde gewesen. Nahezu lässig schritt sie die Stufen der Treppe hinab, wobei der nicht durch Knöpfe oder einen Reißverschluß geschlossene Mantel zu den beiden Seiten hin aufschwang, so daß wir das gelbe makabre Innenfutter durchschimmern sahen.
Furcht zeigte sie nicht, aber auch wir verhielten uns ruhig. Nur die Spannung nahm von Sekunde zu Sekunde zu, je mehr Stufen Assunga hinter sich ließ.
Schließlich blieb sie stehen. Dicht hinter dem Bett hatte sie Aufstellung genommen und legte ihre Hände auf das aus Metallstäben bestehende Kopfende. Wir standen vor der alten Liegestatt. Noch immer stachen die hellen Finger der Lampen nach vorn, was Assunga nicht gefiel, denn sie sprach davon, daß wir das Licht nicht mehr brauchten.
»Warum nicht?«
»Vertraut mir.«
Diesmal konnte Suko ein Lachen nicht unterdrücken. Wie ich, so schüttelte auch er den Kopf und winkte mit beiden Händen ab. »Vertrauen? Dir?«
»Ja, denn es gibt Situationen, in denen der eine dem anderen helfen kann.«
»Da sind wir aber gespannt«, sagte ich.
»Das dürft ihr auch.« Sie schob ihre Hände über das waagerechte Eisengestell des Betts, lächelte uns sogar zu, bevor sie einen Namen leise aussprach. »Coco!«
Stille. Keine Reaktion. Wir schauten uns nur an. Suko schüttelte den Kopf. »Kennt ihr sie nicht?«
»Nein«, sagte mein Freund.
»Aber ich kenne sie. Ich weiß, wie gefährlich sie ist, und sie ist jetzt stark genug.«
»Um was zu tun?« fragte ich.
»Sie will die Macht. Sie will nach oben, und sie ist dazu auch in der Lage.«
Noch immer sprach sie in Rätseln, und das sagte ich ihr auch. »Wir kennen keine Coco, und wenn du mit ihr Schwierigkeiten haben solltest, ist das allein deine Sache. Haben wir uns verstanden? Ist das in deinen Kopf hineingegangen?«
»Stimmt alles«, sagte sie. »Nur solltet ihr sie kennenlernen. Das ist besser für euch.«
»Warum?«
»Man nennt sie auch das Voodoo-Weib!«
Wieder war ein neuer Begriff gefallen, und abermals kamen wir damit nicht zurecht. Ein Voodoo-Weib, eine Person also, die möglicherweise den Tod überwunden hatte und nun als Untote durch die Gegend lief. Die allerdings so stark war, daß sich selbst Assunga vor ihr fürchtete oder nicht mit ihr zurechtkam.
»Warum sollte sie nicht so heißen?« fragte ich.
Die Vampir-Hexe war mit meiner Meinung nicht einverstanden, denn sie schüttelte den Kopf. »Hör auf, so zu reden, Sinclair. Diese Person ist mächtig. Zu mächtig. Sie wird auch euch Schwierigkeiten bereiten, aber noch könnt ihr sie stoppen.«
Ich winkte ab. »Sorry, aber du redest um den heißen Brei herum. Bisher wissen wir überhaupt nicht, was mit ihr los ist. Was du uns gesagt hast, ist zu allgemein. Abgesehen davon, daß wir dir nicht trauen können, warum willst du uns auf deine Seite holen? Bist du nicht in der Lage, sie zu stoppen?«
»Nein, nicht so direkt.«
»Ach.« Ich war wirklich erstaunt, und Suko war es ebenfalls. »Das wundert uns aber. Du mit deiner Machtfülle. Mit dem König der Vampire im Rücken bist du nicht in der Lage, mit dieser Person fertig zu werden? Das wundert uns.«
»Dracula II hat damit nichts zu tun. Coco ist allein mein Problem. Sie wird auch zu eurem werden, wenn ihr nicht schnell genug handelt. Sie ist dabei, zu erstarken. Möglicherweise hat sie ihre Kräfte bereits bekommen und befindet sich auf dem Weg, die ersten Opfer zu suchen. Die Zeit drängt.«
»Willst du, daß wir zu dritt gegen sie kämpfen?« fragte Suko.
»Es ist durchaus möglich, daß es dazu kommt. Aber zuvor werdet ihr euch um sie kümmern müssen. Sie fällt in euer Gebiet, das steht für mich fest.«
Diese Paradoxie der Begegnung hatte ich mittlerweile überwunden und mich auch darauf eingestellt, aber so sehr sie auch geredet hatte, wir wußten einfach zuwenig über dieses Voodoo-Weib.
Assungas Erklärungen waren zu allgemein gewesen.
Deshalb ging ich in die Offensive. »Hör zu, Assunga, du kannst uns viel erzählen und erklären, aber eines steht fest: Wir wissen nichts oder zuwenig über deine neue Feindin. Der Name genügt uns nicht. Wir wollen erfahren, was dahintersteckt. Woher kommt sie? Was hat sie vor?«
»Ihr sollt es erfahren.«
»Wunderbar, dann fang an!«
»Nein, John Sinclair, du bist an der Reihe.« Sie löste eine Hand von ihrem Mantel und deutete auf das Bett. »Das ist dein Platz. Leg dich hin, und ich werde dir einiges zu sagen haben.«
Es gibt Momente, da denkt man, man steht im Wald. So war es
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