108 - Die Fratze des Grauens
war ein dreiäugiger Seher, Man nannte ihn auch den Weisen aus der Unendlichkeit, und das Auge, das Daryl geschaffen hatte, glich Yuums Stirnauge bis auf die letzte Wimper. Das war die wichtigste Voraussetzung dafür gewesen, daß das Auge seinem Zweck gerecht werden konnte. Bisher hatte Yuums Auge sehr zuverlässig gearbeitet und den »Weißen Kreis« auf zahlreiche schwarze Ereignisse aufmerksam gemacht. Es konnte allerdings nicht in die Zukunft sehen, sondern lediglich das zeigen, was gerade passierte, wobei es die Geschehnisse, die es präsentierte, nach Dringlichkeit und Entfernung einstufte und selbstständig und unbeeinflußbar auswählte. Selbstverständlich war diese wichtige Einrichtung unseren schwarzen Feinden ein Dorn im Auge und bereits Ziel dämonischer Attacken gewesen.
Daryl Crenna begab sich mit mir sogleich in den Keller. Wir kannten uns schon lange und kamen ausgezeichnet miteinander aus, Daryl war ein kräftiger, ernster Mann, dem ich jederzeit mein Leben an vertraut hätte. Er war ein echter Freund. Er gab, ohne etwas dafür haben zu wollen.
Es war ein segensreicher Entschluß von ihm gewesen, die Welt des Guten zu verlassen und bei uns den »Weißen Kreis«, dieses Bollwerk gegen das Böse, zu gründen.
Bevor wir den schwarzen Raum betraten, zeigte mir Daryl einige magische Sicherungen, die die Tür abschotteten, so daß kein Unbefugter zu Yuums Auge Vordringen konnte.
Da er mir so vertraute wie ich ihm, verriet er mir auch, auf welche Weise die Sicherungen auszuschalten waren.
Und dann stand ich wieder einmal vor dem großen Auge. Simpel konnte man Yuums Auge mit einem Fernsehapparat vergleichen. Es gab allerdings keinen Ton. Dem Betrachter wurde ein Stummfilm gezeigt. Jedenfalls war es bisher so gewesen.
Wenn Yuums Auge nicht »auf Sendung« war, schloß es sich. Das Lid senkte sich, als würde das Auge ausruhen, doch bei der ersten Wahrnehmung hob sich das Lid wieder, und man konnte sehen, was passierte.
Im Augenblick war das Auge offen, aber es kam mir krank vor. Irgend etwas stimmte damit nicht. Das Auge war trüb. Es zeigte kein klares, sondern ein sehr verschwommenes Bild.
»Was hat es?« wollte ich von Daryl Crenna wissen.
Der Mann aus der Welt des Guten zuckte mit den Schultern. »Irgend etwas stört den Empfang. Es scheint sich hierbei um eine besonders starke Kraft zu handeln. Das Auge kann sie nicht voll erfassen und in ein scharfes Bild umwandeln.«
Ich trat näher an Yuums Auge heran. »Vielleicht konnte es nur auf eine gewisse Zeit arbeiten, und nun erlischt die Energie, die es belebt«, mutmaßte ich.
»Dieses Auge wird so lange leben, wie es Yuum gibt, Tony«, sagte Daryl.
»Angenommen, Yuum liegt im Sterben…«
»Ausgeschlossen. Der Weise aus der Unendlichkeit ist unsterblich«, sagte Daryl.
»Unsterblich heißt höchstens: widerstandsfähiger als andere. Dennoch ist auch Yuum zu vernichten. Man braucht nur dazu die richtige Waffe.«
Daryl trat neben mich. »Sieh genau hin, Tony. Kommt es dir nicht auch so vor, als würde der Blick dieses Auges von irgendeinem Gegenstand zurückgeworfen und gleichzeitig getrübt?«
»Woran denkst du?« fragte ich meinen Freund.
»Sieh dir diese gelben Punkte an. Sie umrahmen ein Rechteck. Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, daß Yuums Auge in einen magischen Spiegel sieht. Eine ungeheure, gefährliche Kraft scheint sich in diesem Spiegel zu befinden, die es schafft, den Blick des Auges nicht nur zu trüben, sondern auch zu bannen. Die Kraft hält Yuums Blick fest, damit wir nicht sehen, was sonst noch geschieht. Zum erstenmal ist es der Gegenseite gelungen, Yuums Auge auszuschalten, und das ist bedenklich, denn wir können nichts dagegen unternehmen.«
Die Hölle bediente sich vieler Waffen und Hilfsmittel.
Es konnte auch mal ein Spiegel sein -gefüllt mit einer gefährlichen, vielleicht sogar tödlichen Magie!
»Ja«, sagte ich, während ich mir noch genauer ansah, was Yuums Auge zeigte. »Du könntest recht haben, Daryl. Es könnte sich tatsächlich um einen Spiegel handeln.«
»Mein Gefühl sagt mir, daß er sich in London befindet und daß er uns noch sehr viel Ärger bereiten wird, Tony.«
***
Der Abend kam.
Es wurde Nacht, und Robert Ellis lag angekleidet auf dem Bett und wartete auf Georgia. Er hatte sein Abendessen in einem Warenhausrestaurant eingenommen, und bei seiner Rückkehr hatte Georgia ihm zugeflüstert, daß er ganz sicher mit ihr rechnen könne. Sie konnte nur keine Uhrzeit nennen, denn sie
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