1085 - Rattenliebe
Die Berge türmten sich bereits bis dicht an die Gitter der Absperrung. Ein künstliches Gebirge aus Wohlstandsmüll.
Die alte Fabrikhalle - schon mehr eine Ruine - war selbst in der Dunkelheit nicht zu übersehen. Wie gemalt hoben sich die unterschiedlich hohen Umrisse unter dem Nachthimmel ab. Der Komplex war nicht völlig zusammengefallen. Da standen noch einige Teile, und sogar ein Dach war vorhanden.
Jane fuhr diesem Ziel entgegen. Sie tat es nicht grundlos, denn Robert Bannister hatte ihr berichtet, daß Teresa in dieser oder nahe bei dieser Ruine wohnte.
Er konnte sich nicht mehr genau daran erinnern, wo es gewesen war. Er hatte zugegeben, wie betäubt gewesen zu sein. Unter einem Rausch zu leiden, der sich nicht aus Alkohol oder Drogen gebildet hatte. Es war einfach ein Liebesrausch gewesen. Er war dieser Frau verfallen gewesen und ihr wie ein Blinder gefolgt.
Er erinnerte sich an Treppen, aber auch an sehr dunkle, stinkende Ecken, und er hatte sich natürlich auch an das Verlies erinnert. An einen engen und völlig lichtlosen Raum, in den man ihn eingesperrt hatte. Das war alles gewesen.
Bis auf die Ratten.
In der Dunkelheit waren sie gekommen, hatten mit ihm auf ihre Weise gespielt und dafür gesorgt, daß er Teresa vergaß.
Jane lenkte den Wagen über den holprigen Boden. Sie fuhr mit Abblendlicht, weil sie nicht auffallen wollte. Das Licht war relativ schwach. Es tanzte über die Unebenheiten hinweg wie ein dünner, schwankender Teppich. Sie lenkte den Golf vorbei an Hindernissen und steuerte auf das noch erhaltene Gebäude der alten Fabrik zu. Davon hatte ihr Klient immer wieder erzählt. Es mußte einen Zusammenhang zwischen ihm, Teresa und den Ratten geben.
Jane stoppte, als sie nahe genug herangefahren war. Viel weiter hätte sie auch nicht fahren können, denn irgendwelche Umweltverschmutzer hatten das Gelände als wilde Müllkippe benutzt und all ihren Dreck vor der Fabrik abgeladen.
Sie stieg aus.
Im Wagen hatte es noch normal gerochen. Hier wehte ihr der Gestank der richtigen Kippe entgegen.
Sie konnte die einzelnen Komponenten nicht unterscheiden, aber der Duft nach Parfüm war es nicht.
Als sie sich drehte und zurückschaute, war die Reklame des Lokals nicht mehr zu sehen. Jane hatte sich schon zu weit entfernt.
Jane trug wegen der Kälte eine gefütterte Wildlederjacke, halbhohe Stiefel, einen dicken Pullover und schwarze Winterjeans. Trotz der Dunkelheit durchsuchte sie die Umgebung. Ihr Blick glitt nicht nur an der Außenmauer entlang, sie suchte auch den Boden ab, denn sie dachte ständig an die Ratten. In ihren Gedanken waren sie einfach allgegenwärtig, und sie wartete förmlich darauf, daß die Nager in ihrer unmittelbaren Nähe über den Boden huschten.
Da hatte sie Glück oder Pech, denn sie sah kein einziges Tier und hörte auch nichts.
Daß sich die Wohnung der Teresa hier irgendwo befinden mußte oder sollte, konnte sich Jane kaum vorstellen. Wen zog es schon freiwillig in eine derartige Gegend, die zum Abriß bereit stand? Keinen normalen Menschen. Wer trotzdem hier lebte, der mußte schon seine Gründe haben.
Wahrscheinlich wollte er für sich bleiben und nicht entdeckt werden. Keinen Kontakt mit anderen haben.
Die lichtstarke Lampe hatte Jane in ihre rechte Jackentasche gesteckt. Noch brauchte sie das Gerät nicht. Sie umrundete den Müllhaufen und stand nach wenigen Schritten vor der Mauer der alten Fabrik.
Jane blickte daran hoch.
Eine schwarze Wand mit viereckigen Löchern. Dort hatten sich früher einmal die Fenster befunden.
Von denen allerdings war nichts mehr vorhanden.
Sie ging weiter.
Diesmal nahm sie die Lampe zu Hilfe.
Der helle Kreis wanderte über den Boden hinweg. Über festgebackene Steine, über Dreck, über Restmüll. Ratten sah sie nicht. Nach ihnen suchte sie auch nicht, sondern erst nach einem Zugang zur Fabrik.
Sie fand ihn an der Seite des Gebäudes. Ein Tor gab es nicht mehr. Es malten sich nur die Schienen auf dem Boden ab, die früher einmal eine Führung für das Tor gewesen waren. Jetzt klebte an ihnen dicker Rost.
Um die andere Seite der Fabrik kümmerte sich Jane Collins nicht. Sie würde sie sich von innen anschauen und leuchtete zunächst einmal hinein.
Der helle Strahl brachte nicht viel. Er konnte immer nur einen Teil ausleuchten, aber Jane schauderte leicht zusammen. Sie hatte das Gefühl, am Eingang eines gewaltigen Verbrennungsofens zu stehen, der allerdings jetzt stillgelegt war, wobei sich der Geruch gehalten hatte,
Weitere Kostenlose Bücher