1085 - Rattenliebe
waren der Abrißbirne zum Opfer gefallen, aber dieses Mittelstück hatte man stehengelassen. Es wuchs in die Höhe wie ein Dino aus der Gründerzeit, obwohl die Kippe immer mehr Platz brauchte und die Tage dieser Halle gezählt waren.
Ich fragte Teresa nicht, wie lange sie hier schon lebte. Ich wollte wissen, ob sich die Ratten in unserer Nähe aufhielten. Diesmal sah ich sie nicht. Die Begegnung in der Herrentoilette hatte mir außerdem gereicht.
Erzählt hatte ich Teresa nichts davon. Allerdings konnte ich mir vorstellen, daß sie Bescheid wußte, denn die Tiere hörten wohl auf ihr Kommando.
Wir gingen an der Breitseite des Gebäudes vorbei, um das hintere Ende zu erreichen. Beim Gehen streckte Teresa den Arm aus. »Es sind nur noch wenige Schritte, John, dann wird es gemütlicher.«
»Hoffentlich.«
Sie lachte mich an. »Keine Sorge, mein Lieber, du wirst dich nicht beklagen können.«
Es gab an der Rückseite einen kleinen Anbau. Längst nicht so hoch wie die Halle und auch nicht so lang. Von den Maßen her paßte er nicht zu ihr, er sah aus wie ein Stumpf.
Davor blieben wir stehen. Teresa löste sich von mir und fingerte nach dem Schlüssel, den sie in das Schloß einer Eisentür stecken wollte. Ich blickte mich derweil um. In der Nähe wuchs das Unkraut kniehoch aus dem Boden. Der Himmel lag über uns wie eine dunkle Wand, und die Fenster der ehemaligen Kaue glichen viereckigen Luken, hinter denen alles dunkel war.
Teresa schloß auf und ging vor. Ich stand noch auf der Schwelle, als sie bereits das Licht eingeschaltet hatte.
Vor uns lag ein Flur. Auch er hatte zur ehemaligen Kaue gehört und war nicht renoviert worden.
Gelbliche Fliesen, auf denen sich das Deckenlicht verteilte und einen Schimmer hinterließ. Wände, die grau angestrichen waren, Türen an der Seite. Früher hatten sie zu den Waschräumen geführt, jetzt lag dahinter die Wohnung der Frau.
Tatsächlich eine andere Umgebung. Gestrichene Wände. Mauern, die herausgerissen waren oder teilweise noch standen, wobei wir durch Durchgänge gehen konnten.
Ich sah eine Küche, ein Wohn- und ein Schlafzimmer. Auch die Tür zu einem Bad wurde von Teresa geöffnet. Wenige Möbel verteilten sich in den Räumen. Einen Fernseher sah ich ebenso wie eine Stereo-Anlage. Hier konnte man es tatsächlich aushalten.
Türen gab es nicht. Man kam ohne Hindernis von einem Raum in den anderen. Der letzte war das Schlafzimmer, und dort genau blieb Teresa stehen. Sie hatte ihren Mantel abgestreift und ihn auf einen Hocker geworfen. Das weiche Licht aus der Deckenlampe fiel über ihre Gestalt und über das Bett, vor dem sie stand.
Teresa war es schon wert, angeschaut zu werden, doch meine Blicke glitten von ihr ab, denn mir waren die an den Wänden hängenden Bilder aufgefallen.
Sie alle zeigten im Prinzip die gleichen Motive.
Ratten!
Wohin ich auch schaute, ich sah nur Bilder mit Ratten. Ob eine, als Paare oder in Gruppen. Sie waren überall. Sie hockten zusammen, sie lagen, sie sprangen, und auf dem größten Bild bildeten die Körper einen regelrechten Hügel.
Teresa fiel mein etwas befremdeter Blick auf. »He, was hast du? Gefallen sie dir nicht?«
Ich überlegte mir die Antwort genau und verzog beim Sprechen auch etwas die Lippen. »Es ist für mich schon gewöhnungsbedürftig, mir so etwas anzuschauen, da bin ich ehrlich.«
»Das weiß ich. Die meisten Menschen mögen die Ratten nicht. Aber für mich sind sie wunderbar. Echte Freunde.«
»Du gestattest, daß ich es anders sehe.«
»Natürlich.« Sie kam auf mich zu. Dicht vor mir blieb sie stehen. Dann schlang sie ihre Arme um meinen Nacken, zog meinem Kopf auf ihr Gesicht zu und preßte die Lippen im nächsten Moment auf meinen Mund. Sie waren nicht kalt, ich spürte, wie Teresa den Mund öffnete und mir ihre Zunge entgegenschob. Sie war wild und leidenschaftlich. Sie wollte jetzt schon alles, das machte sie mir klar.
Ich stellte mich nicht besonders geschickt an. Nicht weil ich etwas gegen einen Kuß einzuwenden gehabt hätte, doch dafür und auch für das andere fehlte mir einfach die innere Bereitschaft, denn ich mußte immer wieder an die Ratten denken. Zudem war ihre Zunge ziemlich schmal, so daß mir der Vergleich mit einer Rattenzunge in den Sinn kam und die Lage nicht eben entspannte.
Teresa merkte es und drückte mich zurück. Ihre Hände blieben aber auf meiner Brust. »He, John, was hast du?«
»Pardon, aber es kommt alles ein wenig überraschend für mich. Fast wie ein
Weitere Kostenlose Bücher