1087 - Blutjagd
Schießerei mit Verletzten oder gar Toten hatte es nicht gegeben, dann hätte dieser Conolly anders reagiert. Dann wäre auch die Polizei auf dem Bahnsteig erschienen. Allmählich kam er zu der Überzeugung, Conolly Unrecht getan zu haben. Der Mann und seine Begleiterin waren in den Zug eingestiegen, um einen gefährlichen Gangster unter Kontrolle zu halten.
So weit, so gut. Das passierte immer mal. Und es wäre auch kein Problem gewesen, wenn der Zug nicht ausgerechnet auf freier Strecke hätte angehalten werden sollen.
Damit kam Preston nicht zurecht. Es wäre doch leicht gewesen, einen Bahnhof abzusperren, den Zug hineinfahren zu lassen, um dann alles zu regeln.
So hatte man nicht reagiert, sondern völlig anders. Warum dieser Aufstand? Wer hielt sich tatsächlich in dem Zug verborgen? Oder was? Hatte jemand nukleares Material geschmuggelt und war dabei aufgefallen? Es war vieles möglich, und Preston erinnerte sich an zahlreiche Filme und Berichte über dieses Thema, die er gesehen hatte. Besonders in den letzten Jahren hatte der Schmuggel mit diesem höllisch gefährlichen Zeug zugenommen.
Nein, dachte er. Ich bin kein Typ für einen Agenten-Krimi. Ich will einfach nur meine Ruhe haben, das ist alles.
Die Nervosität stieg, je mehr Kilometer er zurücklegte. Preston ertappte sich dabei, daß er immer öfter auf die Uhr schaute und auch in den Himmel blickte, an dem sich nichts zeigte. Nach wie vor lag er wie ein gewaltiger, dunkler Wattebausch über ihm. Auch der langsam abnehmende Mond war nicht zu sehen, und das Funkeln der Sterne fehlte völlig.
Aus der rechten Jackentasche holte er die kleine Blechdose hervor. Darin lagen die Zigarillos. Preston rauchte nicht viel. Zwei, drei auf der Fahrt, und das war schon die dritte. Er klemmte sich das Zigarillo zwischen die Lippen, zündete es an und sah dabei das Spiegelbild der Flamme innerhalb der breiten Scheibe tanzen. Er sah auch sein Gesicht dahinter, nicht mehr als eine schattenhaften Umriß, düster und irgendwie bedrohlich.
Die Flamme erlosch. Preston wunderte sich darüber, welche Gedanken ihn überkamen. Wieder dachte er an die nahe Zukunft und schaute dabei nach vorn. Immer wenn er an dem Zigarillo zog, glühte in der Scheibe der Lichtpunkt stärker auf, verschwamm allerdings wenig später, wenn ihm die Qualmwolken entgegenwehten.
Dean Preston war allein und umgeben von den üblichen Geräuschen, die er schon nicht mehr hörte.
Das war einfach Routine. Sie waren einfach da, und trotzdem kam er sich vor wie jemand, der durch eine dichte Stille fuhr.
Deshalb wunderte er sich auch über das Schaben.
Zuerst glaubte er an einen Irrtum. Das Geräusch war hinter ihm aufgeklungen. Dort, wo es ziemlich dunkel war. Wenn er dahin schauen wollte, mußte er sich drehen.
Er tat es nicht.
Er blieb steif sitzen und glaubte, einen Bindfaden aus Eis auf seinem Rücken zu spüren. Er dachte an den Killer im Zug, sein Herz schlug schneller, und plötzlich bewegte sich etwas vor ihm. Es zeichnete sich in der Scheibe ab, die kein Spiegel war und die Bewegung hinter ihm auch nur verschwommen wiedergab. Etwas Dunkles, Bedrohliches glitt heran und auf ihn zu.
Dann hörte er die Stimme. »Fahr weiter, Freund, fahr nur weiter…«
***
Der Killer, der Terrorist! Das mußte er einfach sein. Es gab keine andere Lösung.
Dean Preston glaubte, innerlich zu vereisen. Er hätte jetzt gern geschrieen oder irgend etwas anderes getan, aber der Schock saß einfach zu tief. Als er das akustische Warnsignal hörte, schrak er zusammen und trat die Pedale.
»Mach nur keinen Fehler, Freund…«
Die Stimme hatte sanft geklungen, doch davon ließ sich Preston nicht täuschen. Auch Killer konnten sanft sein. Er hatte sich noch nicht umgedreht und beobachtete die Bewegung in der Scheibe.
Noch immer war nicht mehr als ein dunkler Fleck darin zu sehen, der sich allerdings jetzt zur rechten Seite hinbewegte, und wenig später blieb die Gestalt direkt neben ihm stehen.
Mit der linken Hand nahm Preston den halb aufgerauchten Stummel aus dem Mund und legte ihn in einen Ascher aus Metall. Er traute sich nicht, nach rechts zu schielen, aus Angst, sich falsch zu bewegen. Er sagte nichts, er atmete nur flach und führte seine Bewegungen wie automatisch durch.
Vor ihm lag die Nacht. Der Zug fuhr weiter. Für Preston sah es aus, als wäre die schwere Lok dabei, die Dunkelheit Stück für Stück zu fressen oder sich in einen endlosen Tunnel hineinzubohren.
»Wer bist du?« fragte der
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