1088 - Killer in der Nacht
John bewohnte. Zwar war sie nie dort gewesen, aber sie kannte Suko sehr gut.
Welche Telefonnummer hatte er?
Sie atmete heftig, drehte die Karte des Geisterjägers zwischen ihren verschwitzten Fingern hin und her und versuchte verzweifelt, sich an die Nummer des Inspektors zu erinnern. Sie war ihr gesagt worden, und zwar noch am letzten Abend, als sie zusammengesessen hatten. Suko hatte dabei von Shao erzählt, die Estelle gern kennenlernen wollte. Dabei war auch die Telefonnummer gesagt worden.
So sehr sie sich auch anstrengte, die Telefonnummer fiel ihr nicht ein.
Estelle hörte es plötzlich wieder.
Das Keuchen.
Nur das scharfe Atmen drang an ihre Ohren. Diesmal anders als beim erstenmal. Es hörte sich heftiger und auch hektischer an, als stünde der unsichtbare Keucher unter gewaltigem Streß.
Über ihren Rücken rann ein kalter Schauer, der aus unzähligen Spinnenbeinen zu bestehen schien.
Kälte und Hitze lösten sich dabei ab. Sie spürte auch den Druck in ihrem Kopf und hatte den Eindruck, in einem Kreisel zu sitzen und nicht mehr in einem Sessel, weil um sie herum alles durcheinander war.
Sie stand auf.
Das Keuchen blieb. Sehr nahe floß es an ihrem linken Ohr vorbei. Auch hatte sie das Gefühl, einen Eishauch zu spüren, als hätte sich der Unheimliche manifestiert.
Nein, er war nicht zu sehen.
Estelle Crighton lief vor. Sie glaubte fest daran, verfolgt zu werden, aber sie hatte Glück. Das heftige Keuchen blieb hinter ihr zurück. Unangefochten erreichte sie den kleinen Flur.
Für das Mannequin stand fest, daß es jetzt nicht mehr in der Wohnung bleiben würde. Nur weg hier.
Durch die Nacht laufen, bis zum nächsten Hotel und dort Sicherheit finden.
Im Vorbeilaufen riß sie ihren Mantel von der Garderobe, schlüpfte aber nicht hinein, sondern schleuderte ihn über die linke Schulter.
Die Wohnungstür malte sich gut sichtbar ab, und sie brauchte nur nach der Klinke zu greifen.
Als sie schrie, blieb sie auch zugleich stehen.
Nicht nur das Keuchen hatte sie vor sich gehört, diesmal sogar noch lauter und intensiver, nein, sie hatte auch etwas gesehen, und das brachte sie völlig aus dem Tritt.
Vor ihr, auf der Innenseite der Tür, zeichnete sich etwas ab. Es war leicht verschwommen und trotzdem noch so gut zu erkennen, daß sie von einer heißen Angst durchflutet wurde.
Der Schatten bestand aus einem Arm, einer Hand und einem langen Messer…
***
Brenda Lee und ich hatten den Rover aus der Tiefgarage geholt und waren in die Nacht hineingefahren. In den früheren Morgenstunden sackte der dichte Verkehr in London immer etwas ab, und so kamen wir besser durch. Brenda hatte mich in dieser Zeit nicht angesprochen. Auch jetzt saß sie starr neben mir und schaute ebenso starr durch die Windschutzscheibe nach draußen.
Als ich vor einer Ampel kurz halten mußte, sagte sie: »Meinen Sie wirklich, daß es so gut ist, wenn wir Christa besuchen?«
»Sie haben doch zugestimmt.«
»Das schon. Aber ich bekomme jetzt Bedenken. Wir hätten sie vielleicht anrufen sollen.«
»Haben Sie die Nummer?«
»Nein, aber Sie sind Polizist. Sie hätten die Nummer herausfinden können.«
»Da haben Sie recht.« Ich startete wieder. »Nur wollte ich die Frau nicht warnen, verstehen Sie?«
Brenda war damit nicht einverstanden. »Glauben Sie denn, daß sie wirklich hinter allem steckt?«
Ich zuckte mit den Schultern. »Was ich glaube oder nicht, das interessiert mich nicht. Ich will nur einen Killer fangen. Da es keine andere Spur gibt, müssen wir uns eben an Christa Evans halten. Zudem haben Sie mich erst auf sie gebracht. Ich wäre von allein wahrscheinlich nicht darauf gekommen, obwohl ich innerhalb dieses Hauses ein heftiges Keuchen gehört und keinen Menschen gesehen habe, von dem es hätte stammen können.«
»Das kann ich nicht begreifen.«
»Ich auch nicht, Mrs. Lee.«
Sie strich über ihre Stirn hinweg, als wollte sie einen Vorhang zur Seite schieben. »So etwas kann einfach nicht wahr sein. Das erlebt man nicht im normalen Leben. Und trotzdem muß ich damit zurechtkommen. Diese wahrheitsgemäßen Alpträume habe ich mir ja nicht eingebildet. Verstehen Sie das?«
»Alles klar.«
Sie lachte mich scharf an, während ich recht schnell fuhr und die nächtlichen Lichter außerhalb des Rovers zu einer hellen Soße verschwammen. Die Welt schien sich um uns herum aufzulösen. Es war irgendwie ein Beweis dafür, daß es auch noch andere Ebenen gab. Ich kannte sie und hatte oft genug mit ihnen zu tun
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