109 - Via Diavolo - Straße des Bösen
Verhängnis werden?
Renata Gallone befand sich bereits in der glänzenden Öffnung, deren gewellte Ränder erregt zu beben schienen. Die erschreckende Gier des Schlundes war zu sehen.
Was er einmal gepackt hatte, ließ er wahrscheinlich nie wieder los. Waren Renata und Giuliano wirklich schon verloren?
Carmine Rovere erreichte die oberste Stufe.
»Bitte, Carmine!« schluchzte Giuliano. »Hilf uns!«
Er streckte dem jungen Polizisten die Hand entgegen. Auch Carmine Rovere streckte seinen Arm aus. Er wußte, daß er ebenfalls verloren war, wenn er in den Sog des Höllenschlundes geriet, deshalb war er vorsichtig.
Da war schon ein leichtes Ziehen und Zerren. Es griff auf ihn über, wollte ihn erfassen. Wäre es nicht um Giuliano gegangen, so wäre Carmine Rovere zurückgesprungen.
Er zwang sich, zu bleiben und das Unmögliche zu versuchen. Seine Finger bekamen Kontakt mit Giulianos Fingern.
»Meine Hand!« keuchte Carmine Rovere. »Nimm meine Hand, Giuliano! Halt sie fest! Laß sie nicht los!«
Giuliano packte zu und wollte sich mit der Hilfe seines Bruders von dem Höllenschlund wegziehen. Da Renata Gallone wie eine Klette an ihm hing, hätte er sie mitgenommen.
Doch es gelang ihnen nicht, sich auch nur einen Millimeter von der saugenden Öffnung zu entfernen.
»Zieh!« brüllte Giuliano wie von Sinnen. »Madonna mia, zieh. Carmine! Ich habe Angst! Zieh, so stark du kannst! Ich will nicht in diesem Dämonenschlund verschwinden!«
Carmine Rovere stemmte die Füße gegen den Boden. Er griff mit der zweiten Hand zu. Seine Finger umschlossen das Handgelenk des Bruders.
Renata weinte. Sie bereute, daß sie darauf bestanden hatte, Giuliano hier zu treffen, aber ihre Reue kam zu spät. Carmine war nicht stark genug, sie und seinen Bruder zu retten.
Sein Krafteinsatz war enorm, brachte aber überhaupt nichts. Der magische Sog war stärker, und als Carmine Rovere ermüdete, schnappte der Sog auch ihn.
Jetzt bewegten sich alle drei auf die Öffnung zu!
Renata glitt bereits in sie hinein. Das Mädchen rutschte schreiend in eine Tiefe, die kein Ende zu haben schien. Sie ließ Giuliano nicht los, obwohl er für sie kein Rettungsanker war.
Er war genauso verloren wie sie - und Carmine Rovere war es auch.
Das schleimige Höllenmaul fraß sie alle drei.
***
Wir bekamen das Ende dieser Tragödie mit. Ich hatte mich zweimal verfahren, doch nun befanden wir uns in der Via Diavolo. Ein grauhaariger Mann hatte uns zugerufen, die Straße nicht zu betreten.
Er meinte es gut. Wir ignorierten seine Worte trotzdem, und meine Nackenhärchen sträubten sich, als ich sah, was sich dort oben abspielte.
Die Hölle holte sich ein Mädchen und zwei Männer. Das Gesicht des einen Mannes kam mir bekannt vor. Wo hatte ich es schon mal gesehen?
In der Zeitung!
Das war Carmine Rovere, der Polizist, der auf die Gladiatoren geschossen hatte, als sie sich Orson Vaccaro holten. Und nun schlug er denselben Weg ein wie Vaccaro.
Mr. Silver sprintete los. Ich folgte ihm. Der Ex-Dämon war ein Koloß. Niemand hätte ihm diese Schnelligkeit zugetraut. Ich hatte Mühe, sein Tempo mitzuhalten.
Wie ein Blitz raste er durch die Via Diavolo. Gedankenfetzen sausten durch meinen Kopf: Jubilee… Jubilees Vater… Orson Vaccaro… Spannungen zwischen Gut und Böse… Zeitriß… Gladiatoren… Clessius, ein grausamer Dämon, der sich in eine gefährliche Echse verwandeln konnte…
Das und noch mehr wirbelte durch meinen Schädel, während ich hinter Mr. Silver herkeuchte.
Der Ex-Dämon erreichte die Treppe. Carmine Rovere und die anderen verschwanden im Schlund. Der Zeitriß wollte sich schließen.
Mr. Silver hastete die Stufen hinauf. Vielleicht spürte die feindliche Magie seine Kraft und reagierte darauf. Wenn der Zeitriß sich ganz schloß, war er wahrscheinlich nicht mehr zu sehen.
Wir mußten den Schlund vorher erreichen! Zeit zum Überlegen, was dann mit uns passierte, war nicht. Wir konnten nur handeln, und zwar schnell, sonst verloren wir womöglich die letzte Chance.
Die feuchten, gewellten Ränder näherten sich einander. Der verdammte Höllenschlund war für den Augenblick satt. Er hatte drei Menschen auf einmal verschlungen.
Ich haßte seine widerliche Gier. Wenn es möglich war, wollte ich ihm seinen Appetit auf Menschen gründlich verderben.
Mr. Silver langte bei der Öffnung an. Er griff mit seinen Silberhänden nach den Rändern und verhinderte mit seiner starken Silbermagie, daß sich die Öffnung weiter schloß.
Die
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