109 - Via Diavolo - Straße des Bösen
zitterte.
»Wir schaffen es, keine Sorge«, machte er dem schönen Mädchen Mut. »Verlaß dich ganz auf mich.«
»Ich hoffe, du weißt, was du sagst«, gab Alva Morena nervös zurück.
Orson Vaccaro machte weiter, und kurz darauf hielt der Riegel die Tür nicht mehr.
»Siehst du«, sagte er, als hätte er eine Tür geöffnet, die direkt in die Via Diavolo führte.
Er zog die Tür vorsichtig auf. Sie knarrte. Er bewegte sie sofort langsamer. Vor ihnen lag ein düsterer Gang. Alva Morena gab Vaccaro die Hand.
Sie hielt sich an ihm fest. Er sollte merken, daß sie ihm vertraute, daß sie sich auf ihn verließ. Er trat mit ihr aus der Zelle. Sie schlichen an der Wand entlang.
Jede Richtung konnte richtig oder falsch sein. Vaccaro hatte keine Ahnung, wohin er gehen sollte, doch das ließ er sich nicht anmerken.
Alva sollte meinen, er wisse ganz genau, welcher Weg in die Freiheit führte.
Sie erreichten eine unversperrte Tür. Dahinter befand sich wieder ein schummriger Gang.
Plötzlich vernahmen sie Stimmen.
»Da kommt jemand«, sagte Alva weinerlich, Orson Vaccaro blickte sich gehetzt um. Er entdeckte einen Raum, dessen Tür offen stand.
»Da hinein!« zischte er und zog Alva mit sich. Sie stolperte ängstlich hinter ihm her.
Die Stimmen wurden lauter. Vaccaro war nicht sicher, ob man sie nicht bemerkt hatte. Er zerrte das Mädchen hinter sich und schloß rasch die Tür.
Er bedeutete Alva, sich völlig ruhig zu verhalten. Dann lehnte er sich an die Tür und horchte mit angehaltenem Atem. Deutlich waren näherkommende Schritte zu hören.
Orson Vaccaro hoffte, daß sie an der Tür Vorbeigehen würden, doch sie hielten an. Die Kopfhaut des Verbrechers spannte sich.
Mist! dachte er. Vom Regen in die Traufe!
Aber es sollte noch schlimmer für sie kommen. Sie waren bemerkt worden. Man schob draußen den Riegel vor, und Alva und der Verbrecher waren wieder eingesperrt.
»Wir schaffen es, keine Sorge! Verlaß dich ganz auf mich!« fauchte Alva wütend. »Und ich bin auf diesen Schwachsinn hereingefallen!«
»Du warst nicht schnell genug«, sagte Orson Vaccaro unwillig.
»Ach, ietzt bin ich an der Misere schuld.«
»Halt den Mund.«
»Ich hätte mich dir nicht anschließen sollen. Du bist ein Versager.«
»Überleg dir gut, was du sagst, Baby. Vielleicht finde ich hier auch raus. Dann könnte es sein, daß ich dich nicht mehr mitnehme«, warnte Vaccaro.
Alva Morena lehnte sich mit dem Rücken an die Wand. Draußen klirrte und rasselte eine Kette, und gegenüber der Tür hob sich auf einmal ein Teil der Wand.
Es hatte den Anschein, als wollte man Alva und dem Verbrecher einen Fluchtweg zeigen. Orson Vaccaro tat gut daran, der Sache nicht zu trauen.
Alva Morena warf ihm einen fragenden Blick zu. »Was ist? Nimmst du diese Chance nicht wahr?«
Er schüttelte langsam den Kopf. »Das ist keine Chance, Baby.«
»Davon werde ich mich selbst überzeugen«, erwiderte das Mädchen trotzig.
»Du wirst nicht weit kommen«, sagte Vaccaro.
»Schlimmer kann’s ja nicht mehr werden«, behauptete Alva und stieß sich von der Mauer ab. Sie näherte sich der Öffnung in der gegenüberliegenden Wand, bückte sich und verschwand in dem niedrigen dunklen Gang.
Vaccaro wußte nicht, was geschehen würde. Er war aber davon überzeugt, daß gleich etwas passieren würde. Er konnte Alva nicht mehr sehen, aber es dauerte nur wenige Sekunden, bis er sie hörte.
Sie stieß einen grellen Entsetzensschrei aus, und gleichzeitig hörte Orson Vaccaro ein ohrenbetäubendes Gebrüll, das die Wände erbeben ließ.
Ihm gefror das Blut in den Adern. Alva schoß aus dem niedrigen Gang. Helle Panik verzerrte ihr Gesicht.
»Orson!« kreischte sie entsetzt. »Hilf mir!«
Der Tod folgte ihr auf samtweichen, tappenden Pfoten.
Alva warf sich in ihrer Verzweiflung gegen ihn. »Löwen!« schrie sie außer sich vor Angst, und schon tauchte der erste mächtige Raubtierschädel auf.
***
Renata Gallone war ein quirliges blondes Mädchen mit blauen Augen. Eine Seltenheit für eine Italienerin. Sie war siebzehn und voll entwickelt. Die Jungs standen vor ihrer Tür Schlange. Sie brauchte sich nur auszusuchen, mit wem sie ausgehen wollte.
Renata war ein verwöhnter Fratz. Zu Hause konnte sie tun, was sie wollte. Ihre Eltern waren alt und krank und wollten ihre Ruhe haben. Sie bekam Geld, wenn sie welches verlangte, und konnte über Nacht fortbleiben.
Furchtlos betrat sie die Via Diavolo. Ihrer Ansicht nach hatte sich Salvatore Lupo seine
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