1096 - Baphomets Henker
kommen. Seinen mächtigen Körper wuchtete er los, und er ging mit langen, schleifenden Schritten auf eine Wand zu. Er prallte dagegen, drehte sich brüllend um. Das Licht der Kerze reichte nicht mehr bis zu ihm hin. Trotzdem sah ich, wie verzerrt das Gesicht war. Er schlenkerte den linken Arm, als wollte er die Hand wegschleudern.
Dabei ging er rückwärts. Das Messer hielt er fest. An mir hatte er das Interesse verloren. Ich hätte ihn jetzt auch verfolgt und angegriffen, selbst ohne Beretta, aber ich war einfach zu schlecht drauf und hatte noch Mühe, das Gleichgewicht zu bewahren. Da war es besser, wenn ich die Beretta fand.
Ich sah sie auch.
Links des Kerzenscheins zeichnete sie sich als dunkler Umriß vom Boden ab. Mehr stolpernd als gehend lief ich darauf zu, bekam sie zu fassen, ließ mich aber auf die Knie fallen, weil mir diese Position einen sichereren Schuß erlaubte.
Kurak hatte die Tür erreicht. Er riß sie auf, noch bevor ich richtig auf ihn zielte.
Ich schoß trotzdem.
Er drehte sich genau in diesem Moment zur Seite, um einen letzten Blick in den Raum zu werfen.
Zwar zeichnete sich im helleren Türausschnitt seine Gestalt besser ab, aber die geweihte Silberkugel traf ihn trotzdem nicht. Sie fegte an ihm vorbei und verschwand irgendwo in der Dämmerung des vergehenden Tages.
Gebückt hastete Kurak weiter, den Kopf dabei nach vorn geschoben.
Dann sah ich ihn nicht mehr.
Ich war inzwischen aufgestanden. Mein Herz schlug schneller als gewöhnlich. In der Brust spürte ich einen Druck, und die Hand mit der Waffe zitterte.
Wäre Amy nicht gewesen, dann hätte ich die Verfolgung trotzdem aufgenommen. Ich konnte sie nicht allein lassen und hatte versprochen, sie zu ihren Eltern zu bringen, und dieses Versprechen wollte ich einhalten.
Deshalb ging ich zu ihr. Ich wollte sie anlächeln, aber ich wußte auch, daß es kein Lächeln war, sondern mehr ein verzerrtes Grinsen.
»Ich bin gefesselt«, sagte sie leise.
Erst jetzt fiel mir die Kette zwischen ihren Füßen auf. Um ihre Knöchel klammerten sich Handschellen. Ich war nicht in der Lage, sie ihr abzunehmen.
Ich streckte ihr eine Hand entgegen, die sie noch nicht nahm. Sie war mißtrauisch geworden und schaute mich ebenso an.
»Wer bist du?«
»Du bist Amy.«
Ihr Mund blieb vor Staunen offen. »Du… du… kennst mich?«
»Ja. Deinen Namen. Deine Eltern haben mich geschickt. Ich bin nicht zufällig hier.«
»Das dachte ich mir. Ich wußte es.« Plötzlich konnte sie wieder lächeln.
»Wir beide sollten jetzt gehen, Amy.«
»Aber ich kann so schlecht laufen.«
»Nur bis zu meinem Auto.«
»Und dann?«
»Fahre ich dich nach Hause.«
»Ja, das ist gut.«
Diesmal ließ sie sich hochhelfen. Als sie stand, begann sie zu weinen. Ich tröstete sie und sprach davon, daß alles gut werden würde, obwohl ich nicht davon überzeugt war.
Mir wollte das Bild des Baphomet-Henkers nicht aus dem Kopf. Noch immer sah ich ihn durch diesen Raum irren, die verletzte Hand schlenkernd und dabei schreiend. Er war gezeichnet, aber nicht vernichtet worden, und er würde versuchen, seine Aufgabe zu Ende zu bringen.
»Wie heißt du eigentlich?« fragte sie. »John Sinclair, aber sag John.«
»Okay.«
Ich drückte sie von mir weg. »Wir sollten jetzt gehen, Amy.« Sie nickte, hielt meine Hand fest und ging einige Schritte vor. »Und was ist mit dem Mann?«
»Er ist erst einmal geflohen.«
Mit kindlicher Logik fragte sie: »Dann kann er zurückkommen?«
»Das hoffe ich nicht.«
»Doch!« sagte sie und nickte. »Er kommt zurück, Er will mich unbedingt töten, wenn mein Vater nicht kommt. Eigentlich will er ihn ja, das hat er mir gesagt, und ich habe eine so schreckliche Angst um ihn. Der kann auch zu uns fahren und alle umbringen.«
»Das könnte er, Amy. Aber glaube es mir, deine Eltern sind nicht ohne Schutz. Ein Freund und Kollege ist bei ihnen und auch bei deinem Bruder.«
Sie lächelte, als ich ihren Bruder erwähnt hatte und sagte dann: »Joey ist älter als ich und schon fast erwachsen.«
»Du magst ihn sehr?«
»Klar.«
Wegen der verdammten Kette konnten wir nur sehr langsam gehen. Das Mädchen hatte irgendwie recht. Auch ich glaubte nicht so recht daran, daß sich Baphomets Henker zurückgezogen hatte. Er war auf seine Aufgabe fixiert. Er wollte töten, er mußte töten, um weiterhin in seine dämonischen Gruppe akzeptiert zu werden. An Aufgabe dachten Typen wie er nicht.
Endlich hatten wir das Haus verlassen und blieben vor der Tür
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