1096 - Baphomets Henker
es war einfach zu dunkel, um Menschen zu sehen, die sich in der Finsternis versteckten.
»Hast du ein Handy, John?«
»Klar.«
»Dann können wir ja meine Ma und meinen Pa anrufen.«
»Werden wir auch machen.«
Amy wollte alles genau wissen. »Wann denn?«
»Wenn wir in meinem Auto sitzen, kannst du mit ihnen sprechen. Ist das okay?«
»Ja, sogar super.«
Ich war froh über die Antworten des Mädchens. Sie bewiesen mir, daß Amy mit der Zeit der Gefangenschaft besser fertig geworden war als mancher Erwachsener. Da haben es die Kinder oftmals besser als wir. Es mußte wohl an ihrem Verdrängungssystem liegen.
Das Haus lag schon weit hinter uns. Amy fiel auf, daß ich mich immer wieder umdrehte. Sie fragte mich nach dem Grund, und dann redete sie davon, daß wir ihren Schulranzen vergessen hatten.
»Ist das denn schlimm?«
Sie kicherte. »Nein, ich gehe ohne Bücher in die Schule.«
Die Kleine mit den blonden Haaren war herrlich. Das feingeschnittene Gesicht hatte sie ebenso von ihrer Mutter geerbt wie auch die blauen, hellen Augen.
Aber sie hatte auch ihr Pulver verschossen und war ruhiger geworden. Der Wind wehte gegen unsere Gesichter. Schnee fiel nicht, obwohl es kalt genug war.
Amy blieb stehen. »Ich kann nicht mehr laufen. Mir tut jeder Schritt weh.«
»Dann wirst du eben getragen, junge Dame.«
»Schaffst du das denn?«
»Klar doch.«
Ich bückte mich und hob sie an. Auf den Armen ließ ich sie liegen, und Amy legte ihren rechten Arm um meinen Nacken, um sich bei mir festzuhalten. Ich sah ihr Gesicht vor mir und auch den lächelnden Mund. Die Augen lächelten nicht. Sie zeigten mir eher einen etwas verhangenen Blick, schon leicht traurig.
»An was denkst du, Amy?«
»An meine Eltern und meinen Bruder. Die haben sich bestimmt große Sorgen gemacht. Was wollte dieser Kerl denn von meinem Vater? Er hat ein paarmal davon gesprochen.«
»Das ist eine lange Geschichte, denke ich. Es kann sein, daß du sie mal erfährst.«
»Warum nicht jetzt?«
»Es wäre nicht gut.«
»Wenn du das sagst. Und weißt du, was der noch getan hat?«
»Sag es mir.«
»Der hat einen Hasen getötet und sein Fleisch gegessen. Einfach so. Roh, ohne es zu braten. Das war schlimm, John. Mir ist beim Zuschauen richtig schlecht geworden.«
»Das kann ich mir denken.«
»Dann ist der ja ein Tier, John. Nur Tiere fressen das Fleisch roh. Wir hatten mal eine Katze, da ist das auch so gewesen, aber die fraß nur Mäuse.«
»Manche Menschen sind eben wie Tiere. Oder noch schlimmer«, stimmte ich ihr zu.
Amy schwieg. Wahrscheinlich dachte sie über meine Worte nach. Auch mir tat es gut, daß ich nicht mehr zu reden brauchte. Ich war zudem froh, den abgestellten Rover fast erreicht zu haben, denn wir standen bereits in der Nähe der Straße.
Bisher war alles glattgegangen. Beinahe schon zu glatt für meinen Geschmack. Ich hoffte nicht, daß das dicke Ende noch nachkam; dann konnte es schlimm werden.
»Ist das dein Auto?«
»Ja.«
»Dann gehe ich den Rest allein.«
Darüber war ich froh, denn mit der Zeit war Amy immer schwerer geworden. Ich stellte sie wieder auf die eigenen Füße und holte auch den Autoschlüssel hervor.
Der Rover duckte sich zwischen den Zweigen des Buschwerks. Seine Reifen hatten sich etwas in die weiche Erde hineingegraben, und als ich aufschloß, fragte Amy: »Wo darf ich denn einsteigen?«
»Wohin willst du dich denn setzen?«
»Nach vorn?«
»Okay, aber schnall dich an.«
»Ehrensache.«
Sie krabbelte über den Fahrersitz hinweg und blieb dann auf dem linken sitzen. Sie streckte die gefesselten Beine aus und schnallte sich schon so routiniert an wie eine erwachsene Person. Ich hatte inzwischen auch meinen Platz eingenommen und den Zündschlüssel ins Schloß gesteckt.
»Wann darf ich telefonieren?«
»Gleich, wenn wir auf der normalen Straße sind.«
»Darauf freue ich mich.«
Ich drehte den Zündschlüssel und startete. Es war alles normal - bis zu dem Zeitpunkt, als ich den Rover aus der Deckung herauslenken wollte.
Das klappte nicht.
Der Wagen ließ sich kaum lenken. Plötzlich stand mir der Schweiß auf der Stirn. Nur mühsam ließ sich der Wagen bewegen. Er rumpelte ein Stück vor, und mit der Kühlerschnauze drückte er sich in das Gebüsch hinein.
Weiter kam ich nicht.
Ich würde überhaupt nicht weiterkommen, denn ich wußte, was passiert war.
Amy stieß mich an. »Wir können nicht fahren - oder?«
»Leider nicht.«
»Warum?«
»Weil man uns die Reifen durchstochen
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